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Die Anti-Atom-Bewegung „Republik Freies Wendland” (30. Mai 1980)

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Taube Welt von Technokraten

Die Bedrohung durch das geplante Entsorgungszentrum auf der einen und der massierte Grenzschutz auf der anderen Seite brachten auch solche Leute auf die Beine, die bislang im Prinzip nichts gegen Ruhe und Ordnung gehabt hatten. Frauen, die sich ihr Leben lang um nichts als Mann und Kinder gesorgt hatten, verließen den Herd und stiegen aufs Rednerpult. Sie konnten mit dem Entsetzen nicht mehr zurückhalten: „Die Arroganz der Politiker, die sich nicht scheuen, den nachfolgenden Generationen die Gefahren der Atomkraft zu hinterlassen, ist so erschreckend, daß es über meinen Verstand geht“, erzählte mir die 50jährige Hausfrau Marianne von Alemann bei Tee und Kuchen in ihrem eleganten Landhaus in Prezier. Vor zwei Jahren sind sie und ihr kriegsversehrter Mann, von Beruf Bauingenieur, aus Düsseldorf in den Landkreis gezogen, um endlich ein ruhiges Leben zu führen. Da hieß es: Eine Wiederaufbereitungsanlage Kommt vor ihre Tür.

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Der Bürgerinitiative hat man unlängst die Gemeinnützigkeit aberkannt; nützlich ist allein die Kernenergie. Und die Platzbesetzung, die viele für die einzig mögliche Form politischer Artikulation halten in einer tauben Welt von Technokraten, wird bislang auch vom Bundesinnenministerium eher als „polizeiliche Ermessensfrage“ abgehandelt.

Angst, Resignation und Zermürbung zeichnen das Mienenspiel in Gorleben: „Immer nur kämpfen, kämpfen, kämpfen, und trotzdem werden die Atompläne Schritt für Schritt verwirklicht. Man gibt sein Letztes, doch ...“ (Rebecca Harms).

Hoffnung macht einzig die Platzbesetzung selbst. Sie soll bei den nächsten Gemeinderatswahlen 1981, bei denen die Kernkraftgegner mit einer eigenen Liste kandidieren wollen, eine Revision der derzeitigen Gemeinde- und Kreistagsbeschlüsse mitbewirken, um dadurch eine Ablehnung eines Zwischenlagers durchzusetzen.

Die anfängliche Skepsis gegenüber der – illegalen – Besetzung hat sich vielfach gelegt. „1004“ ist zu einer Art Wallfahrtsort geworden. Da kommen sogar Kriegsversehrte auf Krücken und bringen ihre „Gaben“: Lebensmittel, Stroh, Holz, Brot – oft so viel, daß sie zurückgewiesen werden müssen. Sogar Arzneimittel werden kofferweise ins Erste-Hilfe-Haus gebracht, „damit ihr euch verarzten könnt, wenn euch was passiert bei der Räumung“.

Einmal suchte ein Pastor aus Gartow seine Konfirmandin, damit sie die Kirche schmücke. Als er bei ihr zu Hause anrief, wo sie denn sei, antwortete die Mutter empört: „Na, auf 1004; Wo sie ja auch hingehört!“



Quelle: Cornelia Frey, „Wachsam in Holzpalästen“, Die Zeit, 30. Mai 1980.

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