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Die Anti-Atom-Bewegung „Republik Freies Wendland” (30. Mai 1980)

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All dies mitten im Wald, wo es keinen Strom, kein Wasser und nur sandige Feldwege gibt; dabei fehlt es nicht einmal dem Wohlstandsgewohnten an Grundsätzlichem: Morgens wäscht man sich an der Pumpe des angezapften Brunnens. Aufs Klo geht man entweder allein oder zu fünft: Da hockst du dann neben mir in dem nach vorne und hinten offenen Holzkabinchen, liest wie ich die Tageszeitung und läßt ansonsten die Beine baumeln – mit der Hose um die Knöchel. Gefrühstückt wird so ausgiebig und gesund, wie dies bei den meisten Wohngemeinschaften üblich ist. Wem was fehlt, der holt es sich von nebenan. Er kann auch überall mitessen oder sich an der Theke des Küchenhauses für zwei Mark sattessen: Suppe, Müsli, dick belegte Brote.

Jede pedantische Hausfrau hätte ihre Freude, wenn sie sähe, wie ihr „langhaariger Fratz“ den Müll fein säuberlich nach Glas, Organischem und Anorganischem trennt. Und der Tourist, der mit seinem Wohnwagen an die Adria fährt, um seine Plastiktütenspuren in den Sand zu ziehen, könnte sich hier einiges an konkretem Umweltbewußtsein abgucken.

Selbstverantwortung, Selbstdisziplin, Selbstorganisierung – keine neuen Begriffe in der linken und ökologischen Bewegung. Hier am besetzten Platz bewähren sie sich ganz besonders. Die kleinste autoritäre Weisung – und das Dorf wäre entweder erst gar nicht zustandegekommen oder an seinen unbesprochenen Widersprüchen zerbröselt. So aber bespricht man seine Sorgen und Anliegen in der „Bezugsgruppe“, die schickt ihre Delegierten in den gewählten Sprecherrat, dessen Entschlüsse erst wieder nach unten zur Diskussion gebracht werden, bevor sie in Kraft kommen. So kriegt und macht jeder das meiste mit.

Differenzen sind bei der Frage des Widerstands im Falle der erwarteten Räumung durch die Polizei aufgetreten. Die meisten am Platz sind für den absolut passiven Widerstand – also wegtragen lassen und mitansehen, wie die Raupen der Polizei das Runddorf niederwalzen. Ein paar Leute aus den Rändern der Großstadt haben im häufigen Kontakt mit der Polizei ein wenig von deren Logik abgekriegt. Sie sehen nur schwer ein, warum sie die Häuser, die sie gezimmert, die Bäume und Blumen, die sie angepflanzt, die kostbaren Kleinmodelle alternativer Technologie, die sie angefertigt haben, warum sie diese Muster eines konstruktiven Beitrags zur Energie- und Umweltproblematik von der Staatsgewalt zerstören lassen sollen, ohne sie zu verteidigen. Dieser Standpunkt wird, so gefährlich und sinnlos er allen anderen Platzbesetzern erscheint, dennoch ernstgenommen. Denn Gewaltlosigkeit heißt: Auseinandersetzung.

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