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Überlegungen eines westdeutschen Journalisten zu den Folgen des Ölschocks (15. November 1973)

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Mit dem bloßen Ölsparen ist es nicht getan. Die Aufgabe ist, Öl zu ersetzen.

Gefordert sind nicht nur Staat und Regierung, gefordert ist vor allem die Marktwirtschaft, die jetzt ihre vielgerühmte Flexibilität erweisen muß. Natürlich ist es keine Kleinigkeit, sich kurzfristig von einem Energieträger auf einen anderen, weniger handlichen umzustellen. Aber unmöglich ist es nicht, nur teuer und unbequem. Die Kohle ist ja da, und aus Kohle läßt sich so ziemlich alles machen, zur Not sogar Autotreibstoff. Im übrigen wäre es kein Schaden, wenn bei dieser Gelegenheit die sowieso früher oder später fällige Ablösung des Benzinautos durch das Elektroauto beschleunigt würde.

Gefordert ist außerdem die Wissenschaft, und das nicht nur, was Atomenergie und das Zukunftsprojekt Sonnenenergie angeht. Darauf zu warten, haben wir leider keine Zeit. Worauf die Wissenschaftler jetzt angesetzt werden müssen, so wie man sie im Kriege auf die schleunige Entwicklung neuer Waffen und industrieller Ersatzrohstoffe ansetzt, das ist zum Beispiel die Entwicklung neuer und besserer Verfahren zur Kohleverflüssigung und neuer Grundlagen für die Kunststoffchemie.

Es wäre ja gelacht, wenn man Kunststoffe nicht auch aus etwas anderem herstellen könnte als aus Öl – heutzutage, da die Chemie beinahe alles aus allem machen kann. Nur ging es mit dem Öl eben so besonders gut und billig. Aber es hilft nichts, dem nachzuweinen. Je weniger wir daran denken, daß es so etwas wie Öl überhaupt gibt, um so schneller werden wir die Öldurststrecke, um die wir nicht herumkommen, wieder hinter uns haben.

Das alles klingt hart und befremdlich, ich weiß. Es bedeutet Anstrengung – auch Denkanstrengung – und Verzicht, beides Dinge, die uns ganz ungewohnt geworden sind. Immerhin, Hungern bedeutet es nicht, und, wenn wir es nicht gar zu dumm anstellen, auch Frieren nicht. Und vielleicht ist es gar nicht so schlecht, einmal wieder ein paar echte Sorgen zu haben. In den letzten Jahren machten wir uns schon manchmal die läppischen Scheinsorgen von Leuten, denen es zu gut geht.



Quelle: Sebastian Haffner, „Geht es nicht auch ohne Öl?“, Der Stern, 20. November 1973.

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