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Misstrauensantrag der Opposition (April 1972)

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Die Bereitschaft der anderen Seite liegt vor, über die Fragen zu sprechen, die für das Nebeneinander und dann hoffentlich auch einmal Miteinander beider Staaten und der in ihnen lebenden Menschen von grundsätzlicher und praktischer Bedeutung sind. Der Vertrag wird erst noch im einzelnen zu behandeln sein. Was zu ihm dazugehört, wird wesentliche Erleichterungen bringen.

Aus der Bundesrepublik werden Verwandte und in Zukunft auch Bekannte nicht nur einmal, sondern mehrfach im Jahr in die DDR reisen können. In sinngemäßer Anlehnung an die Berlin-Regelung werden Einreisen aus religiösen, kommerziellen, kulturellen oder sportlichen Gründen möglich sein, wenn entsprechende Einladungen vorliegen. Touristische Reisen werden möglich, wenn die beiden Regierungen sich darüber vereinbaren. Und was ich für besonders begrüßenswert halte: In dringenden Familienangelegenheiten wird durch die Behörden drüben die Reise in die Bundesrepublik ermöglicht werden. Andere reden von Stufenplänen. Wir arbeiten uns im Interesse der Menschen, des Friedens und der Nation Schritt für Schritt voran.

Sie mögen zur Umrahmung des Verkehrsvertrages sagen: was ist das schon? Was ist das schon, auch wenn wir es zusammen mit den Berlin-Vereinbarungen betrachten? Ich sage: Wo standen wir denn eigentlich bis vor wenigen Jahren? Und ich frage in allem Ernst: Wollen Sie, wollen wir dies alles in Gefahr bringen? Das kann ich mir nicht vorstellen.

Hinsichtlich der deutschen Einheit, Herr Kollege Kiesinger, ist es in der Tat die Frage: weiter Reden halten oder etwas tun? Etwas tun einmal für Berlin — davon war die Rede — und die Menschen — davon war auch die Rede — und zum anderen für eine solche Veränderung der Beziehungen zwischen West und Ost in Europa — auch wenn dies sehr lange dauert —, daß sich hieraus auch für das deutsche Volk in seiner Gesamtheit die Chance einer guten Zukunft ergibt. So, nur so! Wie wichtig Reisen sonst seien, Herr Kollege Schröder: an der Chinesischen Mauer werden Sie den Schlüssel zur deutschen Einheit nicht entdecken.

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Die Opposition spielt in Wirklichkeit — auch wenn sie es natürlich nicht will — mit der Gefahr der Isolierung der Bundesrepublik. Zu dieser Gefahr, gegen die sich im Laufe der Zeiten und unter anderen Umständen Adenauer auf seine Weise, früher Bismarck auf seine Weise gewendet haben, darf es nicht kommen. Vom Frieden darf man auch nicht nur reden, sondern man muß sich fragen: was ist der deutsche Beitrag dazu? Deutsche Interessen nimmt man nur wahr, wenn die Entwicklung nicht um uns herum verläuft oder gar über uns hinweggeht. Dies muß bitte jeder wissen.

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Quelle: Rede von Willy Brandt vor dem Deutschen Bundestag, Bulletin (Presse- und Informationsamt der Bundesregierung), Nr. 62, 28. April 1972, S. 861-64.

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