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Rudi Dutschke fordert die Enteignung des Springer-Verlags (10. Juli 1967)

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SPIEGEL: Welche?

DUTSCHKE: Wir wollen zu Tausenden vor dem Springer-Druckhaus durch passive Formen des Widerstandes die Auslieferungsprozedur verhindern. Am Tage dieser Aktion, die wir zuvor durch Flugblätter ankündigen werden, wollen wir selber kritische und informative Zeitungen für alle Teile der Bevölkerung herausbringen. [. . .]

SPIEGEL: Gehört zum Arsenal der direkten Aktionen auch der Versuch, eine Gegen-Universität zu errichten – wovon seit kurzem in Studentenzirkeln die Rede ist?

DUTSCHKE: Ja, da gibt es zwei Konzeptionen. Die eine Form der Gegen-Universität ist begriffen als Appendix, als Anhängsel der bestehenden Universität. Das heißt: Wir versuchen, im nächsten Semester Vorlesungskurse zu initiieren von Doktoranden, von Studenten mit guter Ausbildung, von Assistenten und Professoren. Inhalt des Programms sind Diskussionen. Referate und Seminare über Themen, die bisher innerhalb der Universität nicht diskutiert wurden.

SPIEGEL: Zum Beispiel?

DUTSCHKE: Zum Beispiel die chinesische Revolution und ihre Konsequenzen für die gegenwärtige Auseinandersetzung.

SPIEGEL: Also ein marxistischer Appendix der Universität?

DUTSCHKE: Ein kritischer Appendix der Universität, nicht unbedingt marxistisch. Sagen wir es so: Die politische Durchdringung des Stoffes wäre die revolutionäre Wissenschaft, als Wissenschaft, die gegenwärtige Konfliktsituationen in der ganzen Welt zum Ausgangspunkt der Analyse macht.

SPIEGEL: Wieviel Studenten, Assistenten, Doktoranden würden sie für ein solches Vorhaben gewinnen können?

DUTSCHKE: Ich denke, es sind gegenwärtig schon genug Kräfte vorhanden und gut genug ausgebildet, um dieses Anhängselmodell praktizieren und unsere antiautoritären Studenten, also jenes Lager von 4000 bis 5000, aufklären zu können über die bestehenden Herrschaftsmechanismen und über die Emanzipationsbewegung.

SPIEGEL: Und das zweite Konzept einer Gegen-Universität?

DUTSCHKE: Das wäre der Aufbau einer Universität außerhalb von Dahlem – in einem Gebiet zwischen Fabrikarbeitern, etwa in der Spandauer Gegend oder in der Nähe der AEG und Bürgerbezirken. Man könnte in Baracken Fakultäten installieren zur Ausbildung von Studenten, Arbeitern, Angestellten, Schülern. Hinzu käme, daß wir eine kontinuierliche medizinische, speziell sexuelle Aufklärung für weite Bevölkerungsteile – besonders für junge Arbeiterinnen und Arbeiter – betreiben könnten. Ebenso könnten wir unbemittelten Bürgern Rechtshilfe leisten, Mieterstreiks organisieren und so weiter. Eine solche Universität hätte die Aufgabe der Profilierung des Bewußtseins. Aber es ist die Frage, ob wir dieses Modell finanziell tragen können.

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