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Studienplatz als Mangelware (1974)

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Der Kraftakt aus dem Jahre 1972 ist nicht wiederholbar: Damals saß den Ministern auch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli im Nacken, das den Bund, ersatzweise die Länder, verpflichtete, „baldmöglichst” eine einheitliche Regelung der Zulassung zum Studium zu erarbeiten. Für diese Regelung setzte das höchste deutsche Gericht fast unüberwindliche Schranken: Eine begrenzte Zahl von Studienplätzen, Zulassungsbeschränkungen, knüpften die Richter an strenge Bedingungen: Volle Nutzung der Kapazitäten, keine staatliche Bedarfslenkung. Niedersachsens Hochschulstaatssekretär Günter Wichert dazu: „Wir dürfen erst eingreifen, wenn die Hochschulen zu Tode gewachsen sind.” Ferner forderten die Richter „eine Chance für jeden an sich hochschulreifen Bewerber”. Praktisch heißt das: Wer die vom Staat geregelte Berechtigung hat, verfügt über ein „Teilhaberecht”.

In umfangreichen Erlassen, Vereinbarungen und dicken Büchern rankten die Kultusminister diese Berechtigung um das Abitur. Zweiter Bildungsweg, Fachoberschule, Abendgymnasium messen sich daran. Soziales Prestige, Aufstiegsmöglichkeiten und das Laufbahnrecht der Beamten sind unverändert mit dem Abitur verbunden. Das Zeugnis aber verliert immer mehr seinen Wert und den Kultusministern brennt es auf den Nägeln, denn sie werden für die Folgen verantwortlich gemacht.

So fielen die Bemühungen einiger SPD-Bildungspolitiker in Bonn, die Zulassung zur Hochschule im Hochschulrahmengesetz neu zu regeln – bei der CDU zögernd – auf fruchtbaren Boden. Klaus von Dohnanyi und sein Nachfolger Helmut Rohde setzten auf die Zulassung, auch um der vierjährigen Misere um dieses Gesetz endlich ein Ende zu bereiten. Doch der Text, über den die Bundestagsabgeordneten am Donnerstag und Freitag in zweiter und dritter Lesung beraten, verrät nicht nur bildungspolitische Einfallslosigkeit, sondern auch die Unfähigkeit, ein Problem bis zum Ende durchzudenken.

Wie der Staatsvertrag geht auch die neue Regelung von drei Eckdaten aus: „Soziale Härtefälle”, „Leistung” und „Wartezeit”. Im Düsseldorfer Wissenschaftsministerium hält man die Praxis für „völlig absurd”, wie über die soziale Härte entschieden wird: Die Universitäten befinden über die Anträge, entscheiden, ob ein Bewerber wegen Krankheit oder Familienumständen einen Zuschlag von 0,1 oder mehr erhält. Dann wandert der Kandidat in den Dortmunder Computer. Da aber nur 15 Prozent der Bewerber mit „Härtezuschlag” angenommen werden, reduzieren sich die Chancen der jungen Menschen schlicht darauf, ob der Computer ihnen das Glück zuspielt oder nicht. „Es widerspricht völlig dem Sinn, einem einzelnen zu helfen, wenn wir gezwungen sind, Härte zu normieren”, meint der Staatssekretär.

Den Stein der Weisen glaubten die Bonner Experten bei der Wartezeit gefunden zu haben Abiturienten sollen nicht mehr in der Hochschule auf den ersehnten Studienplatz warten, sondern arbeiten. Das Schlagwort vom „Warten im Beruf” fand Anklang in der Öffentlichkeit. Das hört sich praktisch an, volksnah und wählerstimmenfreundlich. Die „Dauer der Berufstätigkeit oder Berufsausbildung” soll bei der Bewerbung um einen Hochschulplatz besonders bewertet werden.

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