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Das Ende der Nachkriegsgeschichte? (18. Oktober 1963)

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In diesem Zusammenhang sind deshalb die Interessenorganisationen im weitesten Sinne anzusprechen. Wohl gliedern sie das Volk und verhindern auf solche Weise, daß die einzelnen zur beliebig manipulierbaren Masse werden. Auf der anderen Seite können diese Verbände auch zu wachsender Unmündigkeit der Menschen führen. Es ist einzusehen, daß die Gruppen dem Bedürfnis des einzelnen entstammen, durch solidarisches Handeln die private Ohnmacht zu überwinden und auch politisch handlungsfähig zu werden; aber es ist auch nicht zu verkennen, daß die so geschaffene Apparatur ständig der Versuchung unterliegt, die von ihr vertretenen Menschen nach ihrem Willen zu lenken.

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Die Amtsübernahme der neuen Bundesregierung fällt in eine weltpolitische Phase, in der sich Veränderungen im West-Ost-Verhältnis abzeichnen. Langjährige Gespräche über Abrüstungsfragen haben im August dieses Jahres erstmals zu einer Übereinkunft zwischen den Vereinigten Staaten, Großbritannien und der Sowjetunion über eine partielle Einstellung von Kernwaffenversuchen geführt. Die Bundesregierung hat nach den notwendigen politischen Klarstellungen dieses Abkommen unterzeichnet und wird dem Hohen Hause in Kürze das erforderliche Zustimmungsgesetz vorlegen. Dabei gibt sich die Bundesregierung in Übereinstimmung mit ihren Bundesgenossen nicht der trügerischen Hoffnung hin, daß sich durch dieses Abkommen die weltpolitische Lage entscheidend verändert hätte. Die Bedrohung bleibt bestehen; die Unterdrückung der Freiheit dauert auch auf deutschem Boden an.

Die deutsche Frage ist ungelöst, und das freie Berlin leidet weiter unter der unnatürlichen Abschnürung gegenüber dem anderen Teil der Stadt und deutschen Gebieten, die in einer langen Geschichte mit ihm auf das engste zusammengewachsen sind. Die Bundesregierung ist dennoch der Auffassung, daß Kontakte und Gespräche zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion nützlich sein können und daß sie mit dem Ziele fortgesetzt werden sollten, zu prüfen, ob es Möglichkeiten eines Abbaues der Spannungen gibt.

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Quelle: „Große Regierungserklärung des Bundeskanzlers Erhard am 18. Oktober 1963.“ Deutscher Bundestag, Stenographische Berichte 4/90, S. 4192A ff.

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