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Erklärung der sowjetischen Regierung zu ihrer Berlin-Politik (24. Dezember 1962)

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Wenn Sie wirklich aufrichtig darum besorgt wären, daß die auseinandergerissenen deutschen Familien miteinander verkehren können, so gibt es hierfür, meine ich, vernünftige Vorschläge der Deutschen Demokratischen Republik. Aber diese wurden von den Behörden West-Berlins abgelehnt, wobei Ihr persönlicher Einfluß darauf nicht an letzter Stelle stand. Also tragen auch Sie die Verantwortung für das Geschehen. Das Opfer, das Sie nun bedauern, haben daher diejenigen auf dem Gewissen, die hinsichtlich der Normalisierung der Lage in Europa und hinsichtlich des Abschlusses eines Friedensvertrages mit den beiden deutschen Staaten eine derart unüberlegte Haltung beziehen.

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Jedesmal, wenn auch nur ein Schimmer von Annäherung der Standpunkte der Seiten bemerkbar wird, schreit die Bundesregierung von „Kapitulation“ und beinahe von „Verrat“ der Westmächte, läßt sie sich in die verzweifeltsten Kombinationen ein, um ja Abkommen zu vereiteln und die Gegensätze der Großmächte zu einem unlösbaren Knoten zu verknüpfen.

Sie wollen Ihre NATO-Verbündeten zum Äußersten treiben. Es gehe um das Ansehen der Vereinigten Staaten in der ganzen freien Welt, die Vereinigten Staaten hätten ihr Wort gegeben, und die ganze Welt wisse, daß sie Wort halten werden, schrieben Sie unlängst in der amerikanischen Zeitschrift „Foreign Affairs“.

Offen gesagt, kann ich Ihre Politik einfach nicht verstehen. Ihnen obliegt doch eine hohe Verantwortung für die Geschicke des Staates, Sie können auf große Lebenserfahrungen und politische Erfahrung zurückblicken. Vor Ihren Augen hat Deutschland schon zweimal einen Weltkrieg entfesselt. Suchen Sie nun etwa nach einem Vorwand für die Entfesselung eines dritten? Sie freuen sich aufrichtig, daß die Westmächte ihrer Pflicht nachkommen würden. Welcher Pflicht? Halten Sie es für die Pflicht der Westmächte, einen Weltkrieg zu entfesseln? Ist das ihre Pflicht? Ja, stellen Sie sich denn überhaupt vor, was ein thermonuklearer Krieg besonders für die deutsche Bundesrepublik bedeuten würde?

Ich denke da an die Geschichte von einem Kind, das zum erstenmal in seinem Leben eine Streichholzschachtel erwischte, die Streichhölzer an einem Heuschober anzündete und naive Freude über das Feuer empfand. Das Feuer aber ergriff den ganzen Schober, das Kind selbst verbrannte, und im Dorf brach ein Brand aus. Das ist eine allgemein bekannte Geschichte, und daher sorgen Mütter, Väter und überhaupt die Erwachsenen dafür, daß das Kind, solange es heranwächst, keine Streichhölzer bekommt, und sie verbergen alles Feuergefährliche vor ihm. Daraus ergibt sich die Schlußfolgerung: Man soll nicht mit dem Feuer spielen, man soll die möglichen Auswirkungen seiner Handlungen voraussehen (und für Politiker ist es besser, wenn sie auf Jahrzehnte vorausblicken).

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Quelle: Antwortschreiben des sowjetischen Ministerpräsidenten Nikita S. Chruschtschow, vom 24. Dezember 1962, auf das Schreiben vom Bundeskanzler Konrad Adenauer vom 28. August 1962 zum Deutschland- und Berlin-Problem, Europa-Archiv, Folge 2/1963, S. D 33-D 37.

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