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Erklärung der sowjetischen Regierung zu ihrer Berlin-Politik (24. Dezember 1962)

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Sie, Herr Kanzler, reisen auch nicht selten dorthin. Und jedesmal bleibt nach Ihrem Aufenthalt in der „Frontstadt“ eine üble Spur zurück. Warum? Wie man sieht, ist es Ihnen nicht um die Interessen der Bevölkerung West-Berlins, sondern darum zu tun, diese Stadt für ein feindseliges Treiben gegen die Sowjetunion, die DDR und andere sozialistische Länder auszunutzen.

Die Behörden der deutschen Bundesrepublik erklären, daß ein Anschlag auf das Leben von Grenzsoldaten, die die Deutsche Demokratische Republik schützen, kein Verbrechen sei, und geben den Mördern Asyl. Der Provokateur Müller, der den Grenzsoldaten der DDR Reinhold Huhn ermordet hat, ist geradezu zum Helden gemacht worden. Warum schwiegen Sie, Herr Kanzler, als durch Schüsse aus West-Berlin das Leben junger Deutscher, Grenzsoldaten der DDR, ausgelöscht wurde?

Die Tatsachen zeigen, daß die Bundesregierung die Deutschen nach und nach an den Gedanken gewöhnen will, daß ein Bruderkrieg von Deutschen gegen Deutsche möglich ist. Bundespräsident Lübke sagte in einer Ansprache bei der Verabschiedung von Offizieren der Militärakademie der Bundeswehr unumwunden, der Bundeswehrsoldat könnte sich in eine Situation versetzt sehen, da er einmal gegen seine eigenen Landsleute werde kämpfen müssen. Und da läßt man sich noch über sogenannte Kontaktschwierigkeiten zwischen den Deutschen in Ost und West aus.

Was müßte getan werden, um eine radikale Gesundung der Lage zu erreichen und den gefährlichen Zwischenfällen an der Grenze West-Berlins zur DDR wie auch an den Grenzen zwischen der deutschen Bundesrepublik und der Deutschen Demokratischen Republik ein Ende zu setzen?

Die einzige Möglichkeit, Herr Kanzler, besteht darin, einen deutschen Friedensvertrag zu unterzeichnen und die Lage in West-Berlin zu normalisieren, wohlgemerkt, zu normalisieren. Was bedeutet das? Das bedeutet, daß man das überlebte Besatzungsregime beseitigt, das dort faktisch einen Stützpunkt der NATO tarnt, daß man West-Berlin den Status einer freien Stadt gewährt, daß man ihm wirksame internationale Garantien dafür bietet, was Sie und Ihre Verbündeten als absolute Freiheit bezeichnen: das Recht der Bevölkerung West-Berlins, ihre Lebensweise und die sozialen Verhältnisse zu bestimmen, ungehindert Verbindungen mit der Außenwelt zu unterhalten, Garantien für die Nichteinmischung in ihre inneren Angelegenheiten gleich von welcher Seite. Es gilt auch, die subversive Tätigkeit einzustellen, die von dieser Stadt aus gegen die sozialistischen Staaten betrieben wird.

In West-Berlin könnte man, wenn nötig, eine bestimmte Zeit Truppen stationieren. Umstritten bleibt hauptsächlich die Frage, in welcher Eigenschaft, unter welcher Flagge diese Truppen fungieren und wie lange sie dort bleiben würden. Die Sowjetregierung schlägt vor, daß die Truppen in West-Berlin nicht die Länder der NATO vertreten sollen, daß die Flagge der NATO in West-Berlin durch die Flagge der Vereinten Nationen ersetzt werde und daß die UNO dort bestimmte internationale Verpflichtungen und Funktionen übernehme. Die gegenwärtige anomale Lage in West-Berlin unverändert zu lassen, wäre gleichbedeutend damit, sich bewußt mit ernsten internationalen Komplikationen abzufinden.

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