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Der Mauerbau aus der Sicht eines neutralen Beobachters (14. August 1961)

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Stimmungskrise in der DDR

In politischen Kreisen Westberlins befürchtet man, daß die Stimmungskrise in der Sowjetzone akute Formen annehmen könnte. Es ist damit zu rechnen, daß Bewohner von Gemeinden in der 5 Kilometer breiten Sperrzone zur Bundesrepublik versuchen könnten, notfalls mit Gewalt nach Westdeutschland durchzubrechen. Offenbar rechneten auch die Sowjets mit der Möglichkeit einer dramatischen Entwicklung. Die Ernennung Marschall Konjews zum Oberbefehlshaber der in Ostdeutschland stationierten Roten Armee ist zweifellos eine genau berechnete Demonstration gegenüber der Bevölkerung, der auf diese Weise bedeutet werden soll, daß jeder Akt der Auflehnung gegen die kommunistische Ordnung sinnlos wäre. Die Ernennung Konjews und die Konzentration der ostdeutschen Armee an den Grenzen dürften im Moment die Wirkung kaum verfehlen: man müßte wohl eine unkontrollierbare Entwicklung für den Fall befürchten, daß Chruschtschew die Berliner Krise auf die Spitze treiben sollte durch eine unüberlegte Politik in der Frage der von den Westmächten benützten Verbindungen zwischen Westberlin und Ostdeutschland.

Alarmbereitschaft in Westberlin

Die amerikanischen Truppen in Westberlin sind aus Sicherheitsgründen in Alarmbereitschaft versetzt worden. Der Senat der Stadt trat am Morgen zu einer Sondersitzung zusammen. Nachher traf sich der Regierende Bürgermeister Willy Brandt mit den führenden Vertretern der Westmächte. Am Abend versammelt sich das Städteparlament in einer Sondersitzung. Willy Brandt, der heute Nachmittag eine Pressekonferenz abhält, hat in einer ersten Stellungnahme die Westmächte zu energischen Maßnahmen gegen die Aggression des Ostens aufgefordert und dabei vor allem die Notwendigkeit einer entschiedenen Reaktion auf die Maßnahmen gegen die Grenzgänger hervorgehoben. Gleichzeitig forderte Brandt die Bevölkerung der Stadt auf, ruhig Blut zu bewahren.


Quelle: Telefonat eines Korrespondenten, „Abriegelung der DDR gegen den Westen”, Neue Zürcher Zeitung, 14. August 1961, S. 1.

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