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Der Schlieffen-Plan (1905)

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Sehr wahrscheinlich ist dies jedoch nicht. Durch das Vorgehen der Deutschen gegen die Maasstrecke Verdun—Mézières und [weiter westlich] in Richtung über Hirson werden die Franzosen in ihren Stellungen hinter die Aisne und zwischen Reims und La Fère festgehalten werden. [Diese Stellungen sind aber nicht haltbar, wenn die Deutschen aus der Richtung Lille—Maubeuge geraden Weges gegen linke Flanke und Rücken vormarschieren. Die Franzosen müssen diese Flanke decken, oder sie müssen hinter die Marne oder Seine zurückgehen. Letzteres werden sie nur ungern tun wollen. Sie werden sich schwerlich entschließen, das nördliche Frankreich ohne heißen Kampf aufzugeben. Wenn sie daher nicht durch eine Gegenoffensive ihre Ehre retten, so werden sie doch wohl vorziehen, eine Defensivflanke hinter der Oise zwischen La Fère und Paris zu bilden, als daß sie ein großes, reiches Land, ihre schönen Festungen und die Nordfront von Paris preisgeben. Man wird kaum sagen können, daß eine Stellungnahme hinter der Oise unmöglich ist. Da die Hauptstellung Belfort—Verdun nur schwach besetzt zu bleiben braucht, so werden die verfügbaren Kräfte zur Verteidigung der Aisne und Oise ausreichen. Die Stellung hinter der Oise soll in der Front wenig widerstandsfähig sein, aber sie ist links an eine so kolossale Festung wie Paris angelehnt. Wird sie auch in der Front bewältigt, geht auch der Verteidiger hinter die Marne oder die Seine zurück, so muß sich der Sieger bequemen, Paris zunächst auf der Nordfront, dann auf noch anderen Fronten einzuschließen, und sieht sich gezwungen, mit wesentlich geschwächten Kräften den Angriff gegen einen an Zahl überlegenen Gegner fortzusetzen. Um diesen aus seiner neuen Stellung herauszubringen, wird er die linke, an Paris angelehnte Flanke umgehen und damit wieder starke Kräfte zur Einschließung der West- und Südfront der Riesenfestung verwenden müssen.

Eine Sache ist klar. Wenn die Franzosen uns nicht den Liebesdienst erweisen, uns anzugreifen, und müssen wir gegen die Aisne, Reims—La Fère und die Oise vorgehen, so sind wir gezwungen, gleichgültig, ob unsere Feinde die Aisne—Oise pp. Stellung halten, oder ob sie hinter die Marne oder Seine pp. zurückgehen, mit einem Teil unseres Heeres ihnen zu folgen, mit einem anderen Paris südlich zu umgehen und diese Festung einzuschließen. Wir tun also wohl daran, uns beizeiten auf einen Übergang über die Seine unterhalb der Oisemündung und auf eine Einschließung von Paris zunächst auf der West- und Südfront einzurichten. Diese Vorbereitungen mögen getroffen werden, wie sie wollen, so werden wir uns überzeugen, daß wir für eine Fortsetzung der Operationen in dieser Richtung zu schwach sind.] Wir werden die Erfahrung aller früheren Eroberer bestätigt finden, daß der Angriffskrieg sehr viele Kräfte erfordert und sehr viele verbraucht, daß diese ebenso beständig abnehmen, wie diejenigen des Verteidigers zunehmen, und alles dies ganz besonders in einem Lande, das von Festungen starrt.

Die aktiven Korps müssen für die Schlacht unberührt erhalten bleiben und dürfen nicht für den Etappendienst, die Belagerung und Einschließung der Festungen verwendet werden.

Wenn die Deutschen bis zur Oise gekommen sind, so reicht ihr Etappengebiet rechts bis zur Meeresküste und zur Seine unterhalb Paris. In der Front wird es begrenzt von der Oise und der Aisne bis zur Maas unterhalb Verdun. Der Lauf der Etappengrenze von dort bis zum Rhein hängt von den Fortschritten ab, welche die Franzosen etwa auf dem rechten Moselufer gemacht haben. Das Etappengebiet umfaßt Luxemburg, Belgien, einen Teil der Niederlande und das nördliche Frankreich. In diesem ausgedehnten Raume müssen zahlreiche Festungen belagert, eingeschlossen oder beobachtet werden. Dazu werden links der Mosel die verfügbaren 7½ Reservekorps und 16 Landwehrbrigaden bis auf [höchstens] 2½ Reservekorps und 2 Landwehrbrigaden, welche [zur Verstärkung der Front], Deckung von Flanke und Rücken des Hauptheeres dringend erforderlich sind, verbraucht werden. (Eine Armee zur Deckung gegen eine Landung der Engländer bei Dünkirchen, Calais, Boulogne pp. zurückzulassen, ist unter keinen Umständen möglich. Sollten die Engländer landen und vorgehen, so würden die Deutschen haltmachen, sich nötigenfalls verteidigen, eine genügend große Zahl von Korps ausscheiden, die Engländer schlagen und dann wiederum die Operation gegen die Franzosen fortsetzen.)

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