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Der Schlieffen-Plan (1905)

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Es ist anzunehmen, daß der deutsche Aufmarsch sich ungestört vollzieht. Höchstens könnte es notwendig werden, die Ausladung der Reservekorps des äußersten linken Flügels, die jetzt an und hinter der Saar oberhalb Saarbrücken erfolgen soll, zurückzuverlegen. Auch der Vormarsch des gesamten Heeres links der Mosel wird planmäßig angetreten werden können. Ob aber das französische Heer [links oder rechts der Maas oder auf beiden Ufern] uns entgegenkommen, oder ob und wo es unsern Angriff erwarten wird, ist völlig ungewiß. Es ist aber jedenfalls von Bedeutung, daß nördlich der Maas die Enge zwischen Brüssel und Namur vor einem Zusammenstoß mit dem Feinde durchschritten wird, damit jenseits die Entwicklung der 9 Armeekorps ohne Störung sich vollziehen kann. Es kommt also darauf an, den Vormarsch des rechten deutschen Flügels nach Möglichkeit zu beschleunigen. Der Vormarsch der übrigen Heeresteile wird sich, da eine Linksschwenkung erfolgen muß, nach links immer mehr verlangsamen.

Die auf dem rechten Maasufer vorgehenden deutschen Armeen müssen darauf gefaßt sein, daß jeden Tag ein Zusammenstoß mit dem Feinde noch diesseits des Flusses erfolgen kann. Jederzeit muß eine Front hergestellt werden können, welche genügend ist, auch einen überlegenen Feind wenigstens abzuwehren. Das wird erschwert durch die Festungen Longwy und Montmédy, die womöglich genommen, mindestens unschädlich gemacht werden müssen, durch die Waldgebirge, welche das Land südlich der Semois durchziehen, und durch die umfangreichen Waldgebiete nördlich dieses Flusses. Eine beständige Aufmerksamkeit und eine geeignete Verteilung der Marschstraßen ist den Armeeführern nötig und um so leichter zu erreichen, als die Tagesmärsche nur kurz zu sein brauchen. Die Truppe wird ihre Aufgabe nur erfüllen können, wenn sie für die Bewegung und das Gefecht im Walde und im Gebirge geübt ist.

Wenn die Deutschen den französischen Festungsgürtel links der Maas durchbrochen haben, sei es nach einer glücklichen Schlacht auf belgischem Gebiet, sei es nach einem gelungenen Angriff auf die befestigte Stellung, sei es endlich ohne ernstlichen Widerstand gefunden zu haben, so werden sie sich ihrer Absicht gemäß gegen die linken Flanken der französischen Stellungen bei Mézières, Rethel und La Fère wenden. [Die vorgeschobene Stellung an der Maas Mézières—Verdun wird wohl bald geräumt werden. In den Stellungen an der Aisne und zwischen Reims und La Fère werden aber auch] die Franzosen den Angriff auf ihre linken Flanken nicht unbeweglich abwarten. Sie werden vielmehr entweder sich eine neue Stellung aussuchen, oder sie werden einen Gegenangriff machen. Letzteres ist für uns das Erwünschtere. Vorausgesetzt, daß die 2 Korps vom rechten Moselufer herangeholt worden sind, haben die Deutschen ihre Kräfte, so gut es unter den obwaltenden Verhältnissen nur irgend möglich ist, vereinigt. Sie marschieren geschlossen. Ihr linker Flügel ist tunlichst gut angelehnt, ihr rechter ist stark. Es ist nicht wahrscheinlich, daß die Franzosen [welche ihre Korps erst zusammenziehen mußten], das gesamte Heer so gut geordnet haben. Die Lage, in welche sie durch die feindliche Umgehung durch Belgien gebracht worden sind, wird sie zu Übereilungen und zu mehr oder weniger ungerechtfertigten Detachierungen veranlaßt haben. Nachdem die belgischen und französischen Festungen der Nordgrenze sowie das ungünstige Gelände der Ardennen überwunden ist, muß die Lage der Deutschen als die günstigere angesehen werden. Weniger günstig wird ihre Lage, wenn die Franzosen den Angriff ihrer Gegner in einer Stellung oder hinter einem Flußlauf abwarten.

Es wäre nicht unmöglich, daß eine im südlichen Belgien oder im nördlichen Frankreich geschlagene Armee hinter der Somme, die durch einen Kanal mit der Oise bei La Fère verbunden ist, zum erneuten Widerstand haltmachte. Dies würde zu einem Marsch des deutschen rechten Flügels auf Amiens [oder gar auf] Abbeville führen.

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