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6. Erfolg im Westen – Scheitern im Osten
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Überblick   |   1. Die Vertiefung der Teilung   |   2. Der Konflikt zwischen Demokratie und Dikatur   |   3. Probleme der sozialen Marktwirtschaft   |   4. Umgang mit sozialen Konflikten   |   5. Verunsicherungen der Moderne   |   6. Erfolg im Westen – Scheitern im Osten

Die Phase zwischen 1961 und 1989 nahm einen paradoxen Verlauf: Die Vertiefung der Feindseligkeit führte zu einer Annäherung, die die spätere Vereinigung vorbereitete. Im Bereich der internationalen Beziehungen schienen der Bau der Mauer, die Mitgliedschaft beider Staaten in der UNO ab 1973 und die internationale Anerkennung der DDR die Teilung des Kontinents in zwei feindliche Blöcke besiegelt zu haben. Dennoch gelang es der westdeutschen Deutschland- und Ostpolitik, die Grenze durch die Zunahme zwischenmenschlicher Kontakte durchlässiger zu machen, und Zahlungen aus der Bundesrepublik machten die SED abhängig von westlichen Krediten. Obwohl die DDR eine bewusste Distanzierungspolitik vom Westen betrieb, übernahmen beide Staaten schließlich eine „Verantwortungsgemeinschaft“ für den Frieden. Die Anerkennung der europäischen Grenzen dämpfte die Ängste vor einem deutschen Revanchismus. Gleichzeitig schützte das Helsinki-Abkommen jene Menschenrechte, die osteuropäischen Dissidenten entscheidenden Raum zum Atmen gaben. Ausgerechnet die Anerkennung der Ordnung des Kalten Krieges durch die Bundesrepublik stellte somit eben jene Kommunikation und Kooperation zwischen Ost und West wieder her, die schließlich den Weg zu ihrer Überwindung ebnete (29).

Im Bereich der Innenpolitik entwickelten sich die Dinge in unerwartete Richtungen, denn während die umkämpfte Bundesrepublik ihre Legitimität untermauerte, begann die scheinbar solide DDR zu bröckeln. Während der 1960er Jahre artikulierte die Neue Linke eine eindringliche Kritik an der westdeutschen Autoritätsgläubigkeit und forderte eine direktere Demokratie sowie wirtschaftlichen Ausgleich und soziale Sicherheit. Doch die Bonner Republik trotzte der Herausforderung des Generationenkonfliktes und dem Angriff durch den Terrorismus mit einer Mischung aus Reformen und Polizeiaktionen; am Ende wurde die parlamentarische Demokratie durch die Bürgerproteste sogar gestärkt. Im Gegensatz dazu vernichtete die militärische Niederwerfung der Reformbemühungen in der Tschechoslowakei alle Hoffnungen auf marxistische Selbsterneuerung unter ostdeutschen Kommunisten, wodurch die utopische Ideologie ihre Attraktion verlor. Die darauf folgende Fürsorgediktatur führte auf lange Sicht zu wirtschaftlicher Stagnation. Die Verweigerung grundlegender Rechte wie Meinungs-, Versammlungs- und Reisefreiheit brachte eine wachsende Zahl an Dissidenten gegen die Regierung auf, während die Mehrheit der Bevölkerung den Glauben in die materiellen Versprechungen der SED verlor (30).

Im wirtschaftlichen Bereich gelang es dem Westen ebenfalls besser als dem Osten, mit den unvorhergesehenen Herausforderungen der technologischen und strukturellen Modernisierung fertig zu werden. Das Nachleuchten des bundesrepublikanischen Wirtschaftswunders ermöglichte es der SPD, im Wahlkampf 1972 mit dem stolzen Schlagwort des „deutschen Modells“ von sozialem Frieden und betrieblicher Mitbestimmung zu werben. Aber schon bald darauf zerstörten die Ölkrisen, die Verlegung der Produktion in die asiatischen „Tigerstaaten“ und die Ausweitung des Dienstleistungssektors die traditionelle Industrielandschaft und hatten eine Zunahme der strukturellen Arbeitslosigkeit zur Folge. In der DDR waren die neu gegründeten riesigen Industrieunternehmen, die Kombinate genannt wurden, nicht in der Lage, sich dem wandelnden internationalen wirtschaftlichen Umfeld anzupassen und die Ausweitung sozialstaatlicher Leistungen und der Wechsel zur Konsumgüterproduktion überforderten das System. Während regulierter Wettbewerb der Bundesrepublik gestattete, den schmerzlichen Übergang von einer hoch industrialisierten zu einer postindustriellen Wirtschaft zu vollziehen, gelang der DDR-Planwirtschaft der Übergang zur Hochtechnologie nicht (31).



(29) Peter Graf Kielmansegg, Nach der Katastrophe. Geschichte des geteilten Deutschland (Berlin, 2000).
(30) Görtemaker, Geschichte der Bundesrepublik; Jarausch, Hg., Dictatorship as Experience: Towards a Socio-Cultural History of the GDR (New York, 1999).
(31) Werner Abelshauser, Wirtschaftsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland 1945-1989 (Frankfurt am Main, 1983); Andre Steiner, "Zwischen Konsumversprechen und Innovationszwang. Zum wirtschaftlichen Niedergang der DDR," in Konrad H. Jarausch und Martin Sabrow, Hg., Weg in den Untergang. Der innere Zerfall der DDR (Göttingen, 1999); Jeffrey Kopstein, The Politics of Economic Decline in East Germany, 1945-1989 (Chapel Hill, NC, 1997); Charles S. Maier, Dissolution. The Crisis of Communism and the End of East Germany (Princeton, NJ, 1997).

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