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5. Das Wirtschaftsleben
Druckfassung

1. Die Konturen des Alltagslebens   |   2. Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation   |   3. Macht und Herrschaft im deutschen Territorialfürstentum: Der Ständestaat   |   4. Die Gesellschaftsordnung   |   5. Das Wirtschaftsleben   |   6. Kulturelles Leben im Anschluss an den Dreißigjährigen Krieg   |   7. Die Originalität der deutschen Aufklärung   |   8. Spannungen der Spätaufklärung   |   9. Schlußbemerkungen: Drei Geisteshaltungen des Zeitalters   |   10. Kurzbibliographie zusammenfassender Werke und allgemeiner Darstellungen zur deutschen Geschichte


Der Dreißigjährige Krieg überschwemmte die deutschen Lande mit der größten Sterblichkeitswelle zwischen der Beulenpest (dem „Schwarzen Tod“) des 14. Jahrhunderts und dem Zweiten Weltkrieg im 20. Jahrhundert. Er hinterließ weite Landstriche des Heiligen Römischen Reiches, Städte wie Dörfer gleichermaßen, in rauchenden Trümmern. Schlachten, Hungersnöte und Seuchen rafften Millionen dahin, entwurzelten und zerstreuten weitere Millionen. Wie dargelegt worden ist, war die Bevölkerung des Reiches 1648 etwa 25 Prozent geringer als 1618. Und konnten auch die schlimmsten Verluste des 17. Jahrhunderts zwischen den 1720er und 1760er Jahren überwunden werden, so mähten die Kriegsereignisse zur Mitte des 18. Jahrhunderts neue Opfer nieder. Mehrjährige Erntekrisen, begleitet von sprunghaft ansteigender Mortalität, traten mit regionalen Schwankungen in den frühen 1690er Jahren auf, um 1710, in den späten 1730er Jahren und erneut in den frühen 1770er Jahren. Im darauf folgenden Zeitraum bis 1815 entfaltete sich ein rasches Bevölkerungswachstum, buchstäblich genährt durch die Verbreitung der bislang wenig geschätzten Kartoffel – eines Geschenks Südamerikas aus dem 17. Jahrhundert – als Gartengemüse und Alltagslebensmittel für den Grundnahrungsbedarf.

Die Erholung von Krieg und Hungersnot – der eine meist sporadisch und lokal begrenzt, die andere selten auftretend – kam gewöhnlich in Schwung durch sinkendes Heiratsalter, was die Möglichkeiten der Haushaltsgründung widerspiegelte, die sich der überlebenden jungen Generation durch den Tod der älteren Generation eröffneten. Familiäre Wirtschaftsstrukturen – Gehöfte, Handwerkstätten, Stadthäuser – ließen sich leicht wieder aufbauen, die sie erhaltenden Technologien, über die Jahrhunderte verfeinert, sich leicht wieder einsetzen. Die gewohnte Landwirtschaftspraxis, darunter der Wiederaufbau der dafür erforderlichen Viehbestände, basierte – abgesehen vom Holz für den Werkzeugbau, dem Geschirrleder und dem Eisen des Schmieds – hauptsächlich auf dem Einsatz menschlicher Arbeit und Zeit.

Der internationale europäische Handel in der Frühneuzeit nützte Deutschland vor allem durch den Wirtschaftsverkehr Hamburgs und weiterer Hafenstädte, die meist von den Verheerungen des Dreißigjährigen Krieges verschont geblieben waren. Heimarbeits- und Manufakturnetzwerke lieferten billiges, aus Flachs gesponnenes Leinen für den Export, auch zu den Sklavenkolonien in Übersee. Die Junkergüter des Nordens und Ostens verschifften Getreide und Holzprodukte ins Ausland, während aus Süddeutschland und dem von den Habsburgern regierten Böhmen verschiedene Erzeugnisse nach Osteuropa und ins Donaugebiet gelangten. Doch der Großteil der deutschen Landwirtschafts- und Gewerbeerzeugnisse zirkulierte in dem ausgedehnten, wenngleich zollbelasteten Binnenmarkt des Reiches.

Der absolutistische Staat verfolgte neben den kriegsrelevanten Erzeugnissen, die er subventionierte und schützte, eine Importsubstitutionspolitik und suchte damit insbesondere die inländische Luxusgüterwirtschaft aufzubauen. Ihre Produkte, so hoffte man, würden den kräftigen Appetit der besitzenden Klassen nach angesehenen ausländischen Erzeugnissen befriedigen, darunter feine Stoffwaren, Möbel, Glaswaren und dekorative Kunstwerke, vor allem aus den romanischen Ländern und den Niederlanden. Die Regierung Friedrichs des Großen bemühte sich, preußische Hersteller in die Lage zu versetzen, es mit der Seide aus Florenz und dem Porzellan aus dem nahen Dresden aufzunehmen. Sie schikanierte den preußischen Adel (und wohlhabende Berliner Juden) dahingehend, sich mit diesen bisweilen zweitbesten Waren zufrieden zu geben, während beißender lokaler Tabak als Ersatz für den teureren, edelmetallzehrenden Originalimport vorgeschrieben war. Wie nicht anders zu erwarten, blühte der Schmuggel an Deutschlands unzähligen Grenzen.

Effizienzsteigerungen erfolgten durch die Verbreitung einer von Kaufleuten organisierten Kombination aus Heimarbeit und gewerblicher Fertigung und dem Aufstieg vorindustrieller Fabriken oder „Manufakturen“, die besonders im Textilbereich entstanden, wie im Falle der Seidenwerke von Krefeld. Sie bündelten zahlreiche Arbeiter außerhalb der Strukturen des Zunftsystems (das eine aufwendige, zergliederte Arbeitsteilung begünstigte) an zentralisierten Arbeitsplätzen, jedoch ohne den Nutzen der dampfbetriebenen Maschinen, durch die sich die industrielle Revolution in England auszeichnete. In ganz Europa hatte die Wasserkraft seit langem technologisch anspruchsvolle gewerbliche Prozesse im Bereich Getreide, Holz und anderen Arten von Mühlarbeiten angetrieben.

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