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Die Kosten bürgerlicher Erziehung und Ausbildung (1860-1890)

Dieser Auszug aus einer wissenschaftlichen Studie (1921) über das Familienbudget eines höheren Beamten von 1860 bis 1890 dokumentiert die Kosten einer bürgerlichen Familie für die standesgemäße Erziehung und Ausbildung ihrer Kinder. Das deutsche Bildungsbürgertum scheute keine Kosten, um die Ausbildung seiner Söhne zu einem einträglichen Beruf zu sichern. Die Kosten für Unterhalt und Schulbildung für deutsche Mädchen waren kaum weniger hoch. Allerdings waren nur wenige Eltern in der oberen Mittelschicht daran interessiert, ihren Töchtern eine Bildung zu ermöglichen, die zu beruflicher Unabhängigkeit führte. Wie der Forscher gegen Ende des Berichts anmerkt, erwarteten Eltern keine Rückerstattung ihrer Investition für eine Tochter, wie sie dies bei einem „produktiven“ Sohn taten, nachdem er außer Haus erwerbstätig wurde.

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O. wurde 1826 geboren; er beendete seine juristische Ausbildung 1850 und heiratete 1852; er hatte als Richter, dann als höherer Verwaltungsbeamter mehrere Stellen inne – seit 1862 endgültig in Berlin, zunächst als Mitglied des Kollegiums einer Landeszentralbehörde. 1878 wurde er an die Spitze dieser Behörde berufen; 1882 wurde er Wirklicher Geheimer Rat mit dem Prädikat Exzellenz. Sein jährliches Gehalt einschließlich Wohngeldzuschuß betrug 1863 6000M., 1873 9900 M., 1889 22500 M.; insgesamt verdiente er in den Jahren 1863-1889 389 225 M., d. h. im Durchschnitt 14416 M. pro Jahr. Dazu kamen von 1863-1889 Einnahmen aus Nebenämtern, Vermögenszinsen, Gratifikationen etc. in Höhe von insgesamt 69 804 M. Aus der Quelle, die auf der Basis der Rechnungsbücher der Beamtenfamilie ein genaues Bild ihrer Einnahmen, Ausgaben und Lebensgewohnheiten entwirft, werden im folgenden a) die Kosten einer Juristen-Ausbildung, einschließlich „Einjähriges“ und Referendariat 1870-1877 abgedruckt (erster Sohn), dann b) die Gesamtkosten für die Aufbringung und Ausbildung aller drei Söhne (2 Juristen, ein Forstwirt) von 1859-1889, schließlich c) einige Informationen zur Töchter-Erziehung. Die Ausgaben für Aufbringung und Ausbildung der fünf Kinder beliefen sich in diesen 31 Jahren fast auf 50% der Gesamtausgaben der Familie:

a) Die Ausbildung eines Juristen: Im September 1870 machte der älteste, damals 17jährige Sohn das Abiturientenexamen. Unter den Ausstattungsstücken für den feierlichen Akt sind genannt: ein Hut für 2½ Tl., Handschuhe für ½ Tl. und eine Halsbinde für 10 Gr. Für das Examen sind 3 ½ Tl. gebucht. Trat nun zum ersten Male ein Sohn aus der strengen Gebundenheit des Schülerlebens in die akademische Freiheit hinaus, so schien es dem Vater nicht geraten, ihm mit einem Schlage volleste Ungebundenheit zu gewähren. Ein Semester im Elternhause sollte den Uebergang bilden. Die Immatrikulation in Berlin kostete 6 Tl., an Kollegiengelder sind im Semester 18 Tl. gebucht, für die Exmatrikel 4 Tl. 20 Gr. Im April 1871 bezog der junge Studiosus der Rechtswissenschaften die Universität Heidelberg. Sein Wechsel für die vier Monate des Sommersemesters (Mitte April bis Mitte August) betrug 211 Tl., was einen täglichen Betrag von 1 Tl. 22 Gr. bedeutete; davon waren der Unterhalt (mit Ausnahme der Kleidung) und die Studienkosten zu bezahlen. Für die fünf Monate des Wintersemesters überwies ihm der Vater 235 Tl. Zwischen den Semestern durfte der Sohn eine Schweizerreise machen, für die 100 Tl. ausgesetzt wurden. Dagegen erachtete der Vater einen Besuch im Elternhause während dieses Jahres als überflüssig. Die drei letzten Semester seiner Studentenzeit verlebte der Sohn wieder im Elternhause. Er bekam hier ein Quartalsgeld von 50 Tl., von dem Kleider und Taschenausgaben, nicht aber die Kollegiengelder bezahlt wurden. Diese betrugen im 4. Semester 22 Tl. 27 Gr., im 5. Semester 11 Tl. 15 Gr., im letzten Semester sind keine notiert.

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