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„Gewerbsfreiheit”: Auszug aus dem Staats-Lexikon: „Gewerbe- und Fabrikwesen” (1845-1848)

Wie dieser Auszug aus einem Eintrag in Carl von Rottecks und Carl Welckers Staats-Lexikon (1845-1848) zeigt, waren selbst liberale Zunftgegner und Befürworter der Gewerbefreiheit beunruhigt, dass ein freier Arbeitsmarkt zu einer Vormachtstellung des Großkapitals über das Kleingewerbe führen könnte. Um dies zu verhindern, schlug der Verfasser jedoch statt staatlicher Eingriffe den Aufbau von Genossenschaften und freiwilligen Zusammenschlüssen sowie Bildungsmaßnahmen vor.

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B. Die Gewerbsfreiheit. Im Gegensatze zum Zunftzwang besteht die Gewerbefreiheit darin, daß die Ausübung eines Gewerbes nicht gebunden ist an eine bestimmte Zeit und Art der Erlernung, an eine Wanderzeit als Gehilfe, an eine Probe der Kenntnisse und der Geschicklichkeit durch Fertigung eines Meisterstücks und an die Zahl der bereits vorhandenen Gewerbsgenossen. Die Freiheit ist der natürliche Zustand, sie ist das Recht, welches keiner besondern Nachweisung bedarf; die Beschränkung der Freiheit dagegen muß als nothwendig für die Erhaltung der Rechte Dritter oder für höhere Zwecke der Allgemeinheit bewiesen werden. Die Freiheit ist aber weit verschieden von Anarchie; sie findet ihre durch die Interessen der Gesammtheit gebotenen Schranken in dem Gesetze. So haben auch die Gewerbe in dem Zustande der Freiheit ihre Gesetze in einer freien Gewerbeverfassung, einer Gewerbeordnung, innerhalb deren sie sich bewegen und ausbilden. Der Uebergang von dem Zwange zur Freiheit ist für die Gewohnheiten wie für die Interessen, welche sich unter Einwirkung des Ersteren gebildet haben, oft nicht minder peinlich, als umgekehrt der Uebergang von der Freiheit zum Zwange für die entgegengesetzten Interessen. Der Leibeigene, der sich hinfort durch eigenen Fleiß ernähren soll, sträubt sich gegen die Wegnahme des Joches, unter dem ihn der Herr zwar prügeln durfte, aber auch füttern mußte; der freie Mann stirbt lieber, als er sich einem solchen Joche beugt. Der Zunftgeist fürchtet Verderben und Hungertod, wenn dem Wetteifer von Fleiß und Geschicklichkeit die Schranken geöffnet werden; wo Gewerbefreiheit so lange besteht, daß die Fleischtöpfe Aegyptens aus dem Gedächtnisse des jetzt lebenden Geschlechts verschwunden sind, da begreift man nicht, wie die Ausübung einer Thätigkeit als ein Vorrecht gelten könne, welches die Mitglieder einer Körperschaft für sich ausschließlich in Anspruch nehmen. Als die Zünfte entstanden und sich ausbildeten, da mußten sie in sich selbst die Macht schaffen, um Person und Eigenthum zu schützen, Gewalt abzuwehren, ihre Interessen zu fördern; sie mußten ebenso den Unterricht und die Vorbereitung zu der Gewerbthätigkeit einrichten. Die Staatsgewalt richtete ihre Mittel und ihre Wirksamkeit fast ausschließlich auf den Krieg. Der nützliche Tausch des körperschaftlichen Privilegiums und Zwanges gegen staatsbürgerliche Rechtsgleichheit und Freiheit setzt voraus, daß die Gesammtheit zu Gesetzen und Einrichtungen vorgeschritten sei, welche das Recht des Einzelnen sichern und ihm die Gelegenheit bieten, sich zu einem nützlichen Mitgliede der Gesellschaft je nach seinen Anlagen und Fähigkeiten auszubilden. — Nach Aufhebung des Zunftzwangs bleiben die Anordnungen des Staates, wodurch die Gefahren verhütet werden sollen, welche bei manchen Gewerben durch Ungeschicklichkeit oder Nachlässigkeit für Gesundheit, Leben und Eigenthum der Bürger entstehen können; eben so die Sorge für regelmäßigen Betrieb derjenigen Gewerbe, welche die Gesellschaft mit den unentbehrlichsten Verbrauchsgegenständen, besonders mit Lebensmitteln, versorgen. Es wird ferner gefordert, daß Jeder angebe, welches Gewerbe, eines oder mehrere, er treiben will, und das Mittel hierzu ist ein

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