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Der Gutsherr und „seine” Leute (um 1883)

In seinen 1936 veröffentlichten Erinnerungen führt Elard von Oldenburg-Januschau (1855-1937) anhand seiner Erfahrungen um 1883 aus, dass die Auswahl gehorsamer sesshafter Landarbeiter für den wirtschaftlichen Erfolg eines Landguts unabdingbar sei. Dieser erzkonservative ostelbische Junker, einflussreich im nationalistischen und antisemitischen Bund der Landwirte, übertrug dieselben Gefühle, die er in diesem Auszug zum Ausdruck bringt, auf seine politische Karriere als Reichstagsabgeordneter. Mit einer Reichstagsrede am 29. Januar 1910 löste Oldenburg einen Eklat aus, als er diese autoritären Auffassungen mit ungewöhnlicher Offenheit äußerte: „Der König von Preußen und der deutsche Kaiser muss jeden Moment imstande sein“, erklärte Oldenburg dem erstaunten Parlament, „zu einem Leutnant zu sagen: Nehmen Sie zehn Mann und schließen Sie den Reichstag!“

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Die Nöte und Sorgen eines Landwirts beruhen ja nicht nur auf dem rein Wirtschaftlichen. Sie erstrecken sich in erster Linie auf die Leutefrage. Als ich Januschau übernahm [1883], hatte ich nur Arbeiter, die nicht seßhaft waren. Auf allen Gütern, wo einige Jahre keine Herrschaft vorhanden ist, wird die Leutefrage für den Nachfolger die bitterste Not sein. So ging es auch mir.

Als ich anfing zu wirtschaften, sprachen die meisten meiner Arbeiter polnisch. Sie wechselten dauernd von Betrieb zu Betrieb. Sie wurden leicht aufsässig und gingen mit Beginn der Caprivizeit nur allzugern vom Lande in die Stadt, Dieser Vorgang des Bevölkerungsumschwunges, des Wegzuges in die Stadt, wurde durch die Technisierung der Landwirtschaft nicht unerheblich gefördert.

Gewiß war es nicht ohne Nutzen, daß die Landwirtschaft Maschinen bekam, die in kurzer Zeit und mit geringem Arbeitsaufwand das leisteten, was bei der Handarbeit nur mit größerem Kräfteeinsatz und in einer längeren Zeitspanne geschafft werden konnte. Das Tempo der Technisierung aber nahm Formen an, gegen die der einzelne Betrieb wehrlos war. Dies Tempo der Technisierung erleichterte den Wegzug vom Lande in die Stadt. Damit wurde das erreicht, was zur Zeit Bismarcks noch verhindert war: Der deutsche Arbeiter wurde ersetzt durch den nachdrängenden Polen oder Galizier.

Der Bund der Landwirte versuchte immer wieder der Regierung vor Augen zu führen, welche große Gefahren für die Wirtschaft, das Volkstum und die Staatssicherheit in dieser Entwicklung lagen. Viel Erfolg hatten wir dabei nicht.

Auf meinen Gütern gelang es mir, einen seßhaften Arbeiterstand zu schaffen. Im Anfang mußte ich manchem ungehorsamen und aufsässigen Gesellen persönlich entgegentreten und mit der Faust Ordnung und Gehorsam erzwingen. Im Laufe der Jahre wurden die schlechten Arbeiter dadurch abgestoßen und die guten angezogen. Mein Mittel zu diesem Ziel hieß Gerechtigkeit.

Als Offizier hatte ich gelernt, was Gerechtigkeit ausmacht, was man von einem gerecht behandelten Menschen verlangen kann und wie Gerechtigkeit Menschen verschiedener Lebensstufen auch für Zeiten der Not aneinander bindet. Die Leutehäuser in Januschau wurden nach meinen Anweisungen gebaut. Von den bei mir angestellten Arbeiterfamilien zogen nur ganz wenige fort, so daß ich heute einen Stamm von Arbeitern habe, die ich seit Jahren und Jahrzehnten persönlich kenne, deren großen Teil ich in Januschau habe aufwachsen sehen.

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