Die Musik eines amerikanischen schwarzen Jazzmusikers sticht die Opernmusik aus, indem sie überall in Europa Verkaufszahlenrekorde bricht. Fans schlüpfen hinter dem Eisernen Vorhang hervor, nur um sie zu hören. Als Louis Daniel (Satchmo) Armstrong in Hamburg auftrat, mussten nach einer Zugabe schreiende Fans, die die Konzerthalle verwüsteten, mit Wasserschläuchen aus dem Gebäude gejagt werden. Von Schweden bis nach Spanien ist die Musik Armstrongs für viele die Stimme Amerikas. Um die Bedeutung dieses phänomenalen Interesses am Jazz in Übersee zu ergründen, interviewten zwei Redakteure des U.S. News & World Report Satchmo. Der amerikanische Musiker und seine Frau Lucille empfingen sie um 2 Uhr morgens in einem Pariser Hotelzimmer nach einem Konzert für französische Fans, das ein Riesenerfolg war.
Zwei Stunden lang sprach der Trompeter, in Pyjama und Morgenmantel, über amerikanische Musik im Ausland. Es folgt das aufgezeichnete Interview.
F: Erobert der Jazz wirklich Europa, Louis?
A: Das hat er schon immer. Er kam direkt nach dem ersten [Welt]krieg herüber, es kamen viele Soldaten während des ersten [Welt]krieges herüber und einige waren Musiker und blieben hier – Sidney Bechet und Eddie South, Combo Eddie – Violinisten, Musiker kamen alle ‘rüber und guter Jazz wurde in diesen Ländern schon immer geschätzt.
Es gab schon vorher Anziehungspunkte hier drüben, schon vor meiner Zeit, aber mit dem Wandel der Generationen, naja, wurde die Musik besser. [ . . . ]
F: Hat der Jazz den Vereinigten Staaten viele Freunde verschafft?
A: Ich denke schon. Als die amerikanische Musik hierüber kam, wurde sie sehr geschätzt, ja hoch geschätzt. [ . . . ]
F: Gibt es einen Unterschied zwischen dem Jazz, der in Europa beliebt ist und dem, der in Amerika beliebt ist?
A: Es ist überall auf der Welt gleich. Ich sage immer, eine Note ist eine Note in jeder Sprache, wenn du sie genau triffst – wenn du sie triffst. Aber sie [die Europäer] schätzen den technischen Aspekt deiner Musik, jedes bisschen – überall in Europa sind alle so auf klassische Musik ausgerichtet gewesen. [ . . . ]
Es heißt, guter Jazz und klassische Musik sind gleich, weil man sie beide kunstvoll spielt, man drückt sich selbst aus. Und das ist es, was sie stets am Jazz schätzen. All diese neue Musik hat sie nie gestört. Nun, sie haben sie akzeptiert, aber sie hat sie den guten Jazz nie vergessen lassen. [ . . . ]
F: Sie ließen einige [Leute] durch den Eisernen Vorhang kommen?
A: Ich ließ sie nicht kommen, sie haben es einfach getan. Im Hot Club in Berlin waren diese Jungs und einer von ihnen sagte, „Wir haben uns über den Eisernen Vorhang geschlichen, um unseren Louis zu hören“ und sie sagten „Wir wissen nicht, wie wir zurückkommen.“ Und seitdem habe ich nichts mehr von ihnen gehört, aber sie haben das gemacht.
F: Haben Sie diese Leute gesehen, mit Ihnen gesprochen?
A: Ja, sie kamen hinter die Bühne und haben mit mir gesprochen, daher weiß ich, dass sie da waren.
F: Sie kannten Ihre Musik dort drüben?
A: Sicher, deshalb kommen sie – kommen rüber, um mich zu hören. Wenn Sie mir nicht glauben, lassen Sie mich in Russland auftreten und es werden so viele Leute kommen, dass Sie glauben, die gehen zu einem Football-Spiel.
F: Einer unserer Botschafter, in der Tschechoslowakei, hinter dem Eisernen Vorhang, sagte, dass alle hinter dem Eisernen Vorhang amerikanischen Jazz kennen und dass Ihre Musik dort bekannt sei –
A: Sicher, die haben alle Platten und so weiter. [ . . . ]
F: Ist es mit Jazz überall das Gleiche – keine Grenzen, kein Eiserner Vorhang?