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Edlef Köppen, „Das Magazin als Zeichen der Zeit” (1925)

Ab Oktober 1924 veröffentlichte der Ullstein Verlag das monatlich erscheinende Magazin Der Uhu mit einer Auflage von zunächst etwa 100.000 Exemplaren. Solche nach amerikanischen Vorbildern konzipierte Publikationen, die leicht konsumierbare Information mit Unterhaltung verbinden sollten und zudem reich illustriert waren, riefen kulturkritische Reaktionen wie die hier folgende von Edlef Köppen hervor. Befürchtet wurde ein Verlust von inhaltlichem Tiefgang sowie eine Bedrohung der traditionellen Buchkultur. Allerdings war das Aufkommen von Illustrierten und Magazinen nur eine Facette des Pressemarktes; neben den ohnehin weiterbestehenden Feuilletons der renommierten Tageszeitungen traten auch eine Reihe von Zeitschriften wie etwa die Weltbühne und der Querschnitt mit hohem kulturellem und literarischem Anspruch auf.

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Das Magazin als Zeichen der Zeit


Das Stigma unserer Tage ist Hast, Eile, Nervosität. Man hat »keine Zeit«, man findet keine Ruhe, ja man flieht die Besinnlichkeit, man taumelt durch die Gassen ohne Halt und Absicht, sich zu verankern. Der Rhythmus des Lebens schlägt kurz und hart: weiter – weiter! Die Folge davon ist, in vieler Beziehung: Oberflächlichkeit.

Und das auch in den Gebieten, die aus sich heraus mehr fordern müssen: in den Bezirken der Kunst. Kunstgenuß bedingt, neben dem intuitiven Erfassen, das geruhsame und gebändigte Sich-einstellen, Sich-hingeben, Sich-führen-lassen über die Grenzen des Greifbaren hinaus (Kunstschaffen das gleiche Maß an innerer Haltung).

Aber die Erfordernisse versagen. Und wenn etwas als symptomatisch dafür gerade jetzt gezeichnet werden kann, dann ist es das Erscheinen der zahlreichen »Magazine«, die seit etwa einem Jahr Deutschland überschwemmen. Überall findet man sie, in jeder, auch der guten, Buchhandlung, in den meisten, oft sogar auch ernsthaften Studierstuben. Wie eine Pest ist ihre Verbreitung. Ein Verleger begann, einige Dutzend folgten und folgen. Das Magazin ist ein prägnantes Zeichen unserer Zeit geworden.

Der Vater des Gedankens ist Amerika und England. Dort gibt es seit einem Vierteljahrhundert die »Magazins«. Und von dort übernahm Deutschland die schematische Vorlage.

Wie ist ihr Inhalt?

Fast alle der heutigen Magazins bringen in reichster Fülle Bildmaterial. Der gesamte optische Komplex der so beliebten Revue, wie sie jedes größere Theater seinem Publikum mindestens einmal im Jahr mit x Aufführungen vor Augen zu setzen sich verpflichtet fühlt, findet sich hier vergröbert oder, durch die Fixierung wenigstens unterstrichen, wieder. Das Bein, der Busen nackter Mädchen spielt eine so unerschöpfliche Rolle wie das Kostüm der eleganten Frau, der Cut des sog. Gentleman. Ansichten berühmter Zeitgenossen, Photos von Boxern, Pferderennen, in und ausländischen Abnormitäten schließen sich an. Die Texte hierzu werden mit großem Geschick »aufgemacht«, von mehr oder weniger geistreichelnden Sätzen durchtränkt nimmt das Magazin dieser Art aktuelle Stellung zur Umwelt und arbeitet – dieser Art – mit an der »allgemeinen Bildung«. – Doch nicht genug damit schwebt ferner etwas wie ein literarisches Niveau als Ziel vor. Die short story wird propagiert. Mit »spannendem« Inhalt werden auf 3–4 Seiten novellistische Skizzen gegeben, die abermals durch reichhaltige Illustrationen in der Manier der Kinoplakate einem pp. Publikum mundgerecht gemacht werden. Heitere Ecken, also Tummelplätze für Witz und Witzchen, und Rätsel – oh Kreuzwortseuche! – in Wort und Bild werden eingestreut. Kurz und gut: nach anscheinend der vox populi direkt abgelauschten Rezepten: »man nehme...« ist, schon jetzt durchaus typisiert, das Magazin zusammengebaut und dient dem Genuß weitester Leserkreise.

Dagegen mag an und für sich nichts einzuwenden sein. Was bedenklich stimmt, bleibt jedoch das Niveau jener Genußquelle und ihre eminente Verbreitung. Es liegt zweifellos im System jeder periodischen Erscheinung, jeder »Zeit«schrift, Themen mannigfachster Art anzuschneiden und sie zum Teil nur streifend zu erörtern. Immerhin garantiert das ernsthafte Blatt eine genügende Skepsis in Auswahl und Zusammenstellung. Das Magazin – und man kann nicht ein einziges restlos ausnehmen – fördert jene Mannigfaltigkeit jedoch mit so betonter Absicht, daß der Verdacht nicht abzuwehren ist: hier wird lediglich banalste Unterhaltung unter Aufbietung gröbster Mittel kultiviert. Über alles orientiert sein ist die Devise. Aber sie heißt weiter: über nichts gründlich! Jeder Gattung der »Literatur« soll gedient werden. Aber das bedeutet hier: nur in ihren rohesten Erzeugnissen und mit Gemeinplätzen bekommt sie Geltung. Man blättert die Magazine durch und findet bestimmt sogenannte »Namen« unter den Mitarbeitern. Man liest: und kann eigentlich nie anders als mit Erstaunen und bedauernd feststellen, daß jene Namen – und das muß bewußt geschehen – ihr Niveau herabschrauben: einem Betrieb und einer Menge zuliebe, die jedes gute Erzeugnis als langweilig ablehnt. Ausnahmen zugestanden: aber dann dürfte es sich meistens um Übersetzungen handeln. Der Deutsche ist anscheinend technisch nicht in der Lage, die Kurz-Geschichte, die short story, zu beherrschen, wie etwa ein Kipling, ein Bret Harte und O. Henry es vermögen – die Prägnanz und künstlerische Dichte wird durch Schnoddrigkeit, Oberfläche und Saloppheit ersetzt.

Einwände praktischer Natur kommen endlich aus den Kreisen des Verlagsbuchhandels. Man glaubt, seit Existieren der Magazine in Deutschland einen fühlbaren Rückgang der Bücherkäufer festgestellt zu haben. Daran ist zweifellos etwas Richtiges. Für eine Mark, als dem üblichen Magazinpreis, kann ein gutes Buch kaum hergestellt werden; außerdem wird das Publikum offensichtlich suggestiv zu jenem Multa non multum hingezogen und die Ansicht erzeugt: wo ich so vielerlei für wenig Geld kaufen kann, werde ich doch nicht mit wenigem (etwa einem Buch mit »nur einer Arbeit«) zufrieden sein. Eine Ansicht, die verstärkt Raum gewinnt, seit jüngst ein Verlag neben allem übrigen sogar mit einem kompletten Roman die Spalten jedes einzelnen seiner Hefte füllt.

So ist das Magazin ein Zeichen, und wie nachgewiesen ist: ein bedenkliches Zeichen unserer Zeiten.



Quelle: Edlef Köppen, „Das Magazin als Zeichen der Zeit“, in Der Hellweg 5 (17. Juni 1925) Nr. 24, S. 457; abgedruckt in Weimarer Republik: Manifeste und Dokumente zur deutschen Literatur 1918-1933, herausgegeben von Anton Kaes. Stuttgart: Metzler, 1983, S. 245-48.

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