I. Leopold von Ranke, Vorrede zu Geschichten der romanischen und germanischen Völker (1824) Gegenwärtiges Buch kam mir freilich, wie ich nur bekennen will, ehe es gedruckt ward, vollkommener vor, als nun, nachdem es gedruckt ist. Indessen rechne ich auf geneigte Leser, die weniger auf seine Mängel, als auf seine etwaigen Tugenden aufmerksam sind. Um es nicht ganz seiner eigenen Wirkung anzuvertrauen, will ich nicht versäumen, eine kurze Erläuterung über seine Absicht, seinen Stoff und seine Form vorauszuschicken.
Die Absicht eines Historikers hängt von seiner Ansicht ab; von dieser ist hier zweierlei zu sagen. Zuvörderst, daß ihr die romanischen und germanischen Nationen als eine Einheit erscheinen. Sie entschlägt sich drei analoger Begriffe: des Begriffes einer allgemeinen Christenheit (dieser würde selbst die Armenier umfassen); des Begriffes von der Einheit Europa's: denn da die Türken Asiaten sind, und da das russische Reich den ganzen Norden von Asien begreift, könnte ihre Lage nicht ohne ein Durchdringen und Hereinziehen der gesammten asiatischen Verhältnisse gründlich verstanden werden; endlich auch des analogsten, des Begriffes einer lateinischen Christenheit: slavische, lettische, magyarische Stämme, welche zu derselben gehören, haben eine eigenthümliche und besondere Natur, welche hier nicht inbegriffen wird. Der Autor bleibt, indem er das Fremde, nur wo es sein muß, als ein Untergeordnetes und im Vorübergehen berührt, in der Nähe bei den stammverwandten Nationen entweder rein germanischer oder germanisch-romanischer Abkunft, deren Geschichte der Kern aller neueren Geschichte ist, stehen. In der folgenden Einleitung soll versucht werden, hauptsächlich an dem Faden der äußeren Unternehmungen ins Licht zu setzen, inwiefern diese Völker sich in Einheit und gleichartiger Bewegung entwickelt haben. Das ist die eine Seite der Ansicht, auf welcher gegenwärtiges Buch beruht; nun die andere, die sich durch den Inhalt desselben unmittelbar ausspricht. Es umfaßt nur einen kleinen Theil der Geschichte dieser Nationen, den man wohl auch den Anfang der neueren nennen könnte; nur Geschichten, nicht die Geschichte; es begreift einerseits die Gründung der spanischen Monarchie, den Untergang der italienischen Freiheit, andererseits die Bildung einer zwiefachen Opposition, einer politischen durch die Franzosen, einer kirchlichen durch die Reformation, genug jene Spaltung unserer Nationen in zwei feindselige Theile, auf welcher alle neue Historie beruht. Es geht von dem Zeitpunkt aus, wo Italien in sich geeinigt wenigstens äußere Freiheit genoß und vielleicht selbst herrschend genannt werden darf, da es den Papst giebt; die Spaltung desselben, das Eindringen der Franzosen und der Spanier, den Untergang in einigen Staaten aller Freiheit, in anderen der Selbstbestimmung, endlich den Sieg der Spanier und den Anfang ihrer Herrschaft sucht es darzustellen. Ferner fängt es von der politischen Nichtigkeit der spanischen Königreiche an, und geht zu ihrer Vereinung, zu der Richtung der Vereinten wider die Ungläubigen und nach dem Innern der Christenheit fort; es sucht deutlich zu machen, wie aus jener die Entdeckung von Amerika und die Eroberung großer Königreiche daselbst, doch vor allem, wie aus dieser die spanische Herrschaft über Italien, Deutschland und die Niederlande hervorgegangen. Drittens geht es von der Zeit, wo Karl VIII. als ein Vorkämpfer der Christenheit wider die Türken auszieht, durch alles wechselnde Glück und Unglück der Franzosen bis zu der fort, wo Franz I. 41 Jahre später eben diese Türken wider den Kaiser zu Hülfe ruft. Indem es endlich den Gegensatz einer politischen Partei in Deutschland wider den Kaiser und einer kirchlichen in Europa wider den Papst in ihren Anfängen verfolgt, sucht es den Weg zu einer vollständigeren Einsicht in die Geschichte der großen Spaltung durch die Reformation zu bahnen. Diese Spaltung selbst soll in ihrem ersten Gang betrachtet werden. Alle diese und die übrigen hiemit zusammenhängenden Geschichten der romanischen und germanischen Nationen sucht nun dies Buch in ihrer Einheit zu ergreifen. Man hat der Historie das Amt, die Vergangenheit zu richten, die Mitwelt zum Nutzen zukünftiger Jahre zu belehren, beigemessen: so hoher Aemter unterwindet sich gegenwärtiger Versuch nicht: er will blos zeigen, wie es eigentlich gewesen.