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Berthold Auerbach: Einleitung zu Schwarzwälder Dorfgeschichten (1844)

Berthold Auerbach (1812-1882) war ein vielgelesener Romanschriftsteller des realistischen Stils in Deutschland. Er beschrieb in der hier abgedruckten Einleitung zu seinen Schwarzwälder Dorfgeschichten von 1844 seinen Ansatz für einen realistischen und nicht idealisierten Schreibstil, in diesem Fall für die detaillierte Beschreibung des Bauernlebens im deutschen Südwesten. Methodisch zwar dem Realismus verpflichtet, stellte Auerbach das ländliche Dorfleben allerdings als einfacheres, echteres und nicht dekadentes Gegenstück zum bürgerlichen Stadtleben dar.

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Vorreden spart Nachreden
sagt ein gutes deutsches Sprichwort, und es sollen daher den Dorfgeschichten ein Paar einleitende Worte vorausgehen. Fern von ihrem Schauplatze sind diese Darstellungen aufgenommen und ausgeführt worden; der Leser möge beurtheilen, ob Standpunkt und Ton der richtige. Einer Seits nicht mitten aus dem Bauernleben heraus, anderer Seits nicht vom städtischen Gesichtspunkte befangen, diese Lebensbilder vor Augen zu stellen, war mein Bestreben; so auch glaubte ich, sollten sowohl Städter als Landbürger sich ihnen mit Interesse zuwenden können. Die Eigenthümlichkeiten des Dialekts und der Redeweisen sind daher nur in so weit beibehalten, als das wesentliche Gepräge derselben damit dargethan wird. Ich habe mich fast immer als mündlich erzählend gedacht; die Ereignisse stehen als geschichtliche Thatsachen da. Daher mußte es kommen, daß hin und wieder manche Lebensregel und allgemeine Bemerkung eingestreut wurde.

Ich habe absichtlich nicht in eine geschichtliche Vergangenheit zurückgegriffen, obgleich eine solche freieren Spielraum zu phantastischen Gebilden und zur Anlehnung an große Ereignisse geboten hätte; alle Seiten des jetzigen Bauernlebens sollten hier möglichst Gestalt gewinnen. Zunächst verfolgte ich damit nicht die Tendenz, in irgend einem Bereiche Mißbräuche, Irrthümer und dergleichen abzustellen; ergibt sich eine solche Nothwendigkeit aus den vorliegenden Erzählungen, so wird mir das eine freudige Genugthuung seyn. Daß Mißstände des katholischen Klerus berührt wurden, liegt einzig in der Örtlichkeit. Ich verwahre mich ausdrücklich dagegen, als ob solche nur im katholischen Klerus stattfänden; in protestantischen Gegenden finden sich andere in anderen Erscheinungen. Das religiöse Leben, hier zunächst als kirchliches, bildet ein Grundelement im deutschen Volksthume; es ist das historische Bewußtseyn des Unendlichen, in seiner Ganzheit feststehend, den Karakter erfüllend. Macht sich hier auch bereits das individuelle Bewußtseyn geltend, erheben sich Einzelne über die gegebenen Formen, so geben diese doch noch im Allgemeinen den Karakteren das wesentliche Gepräge. Frivol ist es daher, im Bauernleben den religiösen Grundzug zu ignoriren, und poetisch unwahr obendrein.

In den Ländern der Zentralisation, der geschichtlichen Einheit und Einerleiheit, kann der Dichter weit eher Nationaltypen aufstellen. Engländer, Franzosen, sind unter denselben Gesetzen, ähnlichen Lebensbedingungen und geschichtlichen Eindrücken aufgewachsen; ihr Karakter hat nicht bloß in der Richtung auf das Allgemeine, sondern auch in Einzelheiten, in Gewohnheiten, Ansichten etc. etwas Gemeinsames. Wir aber, durch die Geschichte getrennt, stellen weit mehr die Ausbildung des Provinziallebens dar. Die aus dem Volksthume genommene Poesie wird sich daher, ähnlich der neueren Richtung geschichtlicher Forschung auf das Provinzielle, immer mehr lokalisiren müssen. Wie wir die Einzelheit politisch auszubilden haben, so haben wir auch poetisch diese Aufabe; das Bewußtseyn der Vereinigung und Einheit muß hindurchgehen, und so auch hier ein in sich gegliedertes Leben sich herausstellen. Durch die Länderarrondirungen ist das Provinziale freilich vielfach zerschnitten, aber noch steht der Kern desselben fest.

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