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Paul de Lagarde über Liberalismus, Bildung und die Juden: Deutsche Schriften (1886)

Paul de Lagarde (1827-1891) war Theologe und Orientalist; er wurde 1869 Professor für orientalische Sprachen an der Universität Göttingen. Politisch war er ein Konservativer und virulenter Antisemit: Seine Schriften sind als Verkörperung der „germanischen Ideologie“ bezeichnet worden, die dem Nationalsozialismus den Weg bereitete. Die folgende Textpassage stammt aus Lagardes Deutschen Schriften. Sie beginnt mit einem Versuch, die drei Teile des Liberalismus, repräsentiert durch die „schwarze“ (katholische), „rote“ (sozialistische) und „goldene“ (jüdische) Internationale, in Verbindung zu bringen. Lagarde attackiert einige der berühmtesten Liberalen und Reformer der deutschen Geschichte und fordert die Bildung einer neuen konservativen Partei, obgleich eine 1876 gegründete Deutschkonservative Partei bereits existierte. Er greift außerdem die 1880 veröffentlichte Erklärung der 75 Berliner Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens gegen den Antisemitismus an: Dies war die liberale Reaktion auf die Vorwürfe des Historikers Heinrich von Treitschke und anderer, die Juden seien ein „Fremdkörper“ in der deutschen Gesellschaft. Für Lagarde waren Juden und Liberale Verbündete, und ein wahrer deutscher Nationalist musste gegen beide vorgehen.

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Die graue Internationale.

Zweiter Band der deutschen Schriften: Februar 1881.

Von der schwarzen, der rothen, der goldenen Internationale redet alle Welt: die graue Internationale läuft noch immer unter dem Namen Liberalismus um. Mir scheint es an der Zeit, sie in ihre Rechte einzusetzen. Sie ist vaterlandslos wie alle ihre Schwestern, und darum für jede Nation von äußerstem Unsegen. Sie herrscht allerdings eben so gerne wie die drei andern Glieder der Familie, aber die Macht ist nicht eigentlich das was sie erstrebt: von der Bequemlichkeit und dem Wunsche zu scheinen nährt sie sich: sie mordet, wenn auch ohne es zu beabsichtigen, die Gewissen und die Fähigkeit das Leben als Ganzes zu fassen, und dadurch tötet sie die Persönlichkeit.

Alles was dem Menschen frommt, ist Ergebnis seiner eigenen Arbeit. Diesen Satz werden viele Zeitgenossen nicht bestreiten, obwohl sie seiner Tragweite sich nicht bewußt sind. Die eindringlichste Erläuterung hat er auf einem sehr leicht übersehbaren Gebiete durch die von Frankreich an Deutschland gezahlte Kriegsentschädigung erhalten. Wir würden jene fünf Milliarden Franks sehr wohl haben vertragen können, wenn sie Frank für Frank von uns als Einzelnen verdient worden wären: da sie uns auf Einmal, ohne daß wir etwas dafür geleistet, über den Hals kamen, sind sie uns fremd geblieben, und haben die Fäulniskrankheit hervorgerufen, von welcher wir noch immer nicht gesundet sind, und noch lange nicht gesunden werden. Ganz genau wie mit jenem Gelde verhält es sich nun mit geistigen Gütern. Kein Volk kann die Grundsätze des politischen Lebens, kann die Ergebnisse der Weltkultur äußerlich überkommen: wir können Derartiges niemals wie Vokabeln auswendig lernen, niemals wie einen Regenschirm entlehnen: wir müssen, was wir an geistigen Gütern besitzen wollen, selbst erobern. Der Liberalismus – ich rede natürlich nur von dem deutschen Liberalismus aus eigenster Kenntnis – ist die Weltanschauung derer, welche überallher geistige Güter zusammenschleppen, und dies in dem guten Glauben thun, jene seien darum ihr Eigenthum, weil sie in ihren Truhen und Schreinen liegen. All dieses Gold erweist sich, wie das schon unsre Märchen wissen, dem Besitzer, sowie er es benutzen will, als Kohle, obwohl es an und für sich wirklich Gold war. Alle diese Besitzer machen auf Gesunde den Eindruck Geisteskranker, welche Goldpapier als Geld aufzählen: wo derartige Leute im Leben der Völker zur Geltung kommen, wirken sie im höheren Sinne des Worts entsittlichend, weil sie die Arbeit in Miskredit bringen, weil sie wie einen Lotteriegewinn Schätze denen hinschütten, welche mit diesen Schätzen nichts anzufangen wissen: sie wirken aber auch im gewöhnlichen Sinne des Wortes entsittlichend, weil auch sie selbst nicht wirklich besitzen, was sie zu besitzen meinen, und darum bei ihnen Theorie und Praxis einander stets widersprechen. Diese Liberalen sind die umgekehrten Schlemihle: sie haben den Schatten des Körpers, aber den Körper nicht. Da ich durchaus nicht wünsche, misverstanden zu werden, mache ich darauf aufmerksam, daß ich selbst ganz genau angegeben habe, was ich hier liberal nenne, und daß für mich liberal nicht etwa mit Freiheitsfreund gleichbedeutend ist.

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