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August Bebel, „Die Frau und der Sozialismus” (1879)

August Bebel (1840-1913), der Sohn eines preußischen Offiziers von niederem Rang und ein gelernter Drechsler, wurde zur Ikone der sozialdemokratischen Bewegung im deutschen Kaiserreich. Zusammen mit Wilhelm Liebknecht gründete er 1866 die Sächsische Volkspartei und den später als Eisenacher bekannten Flügel der Sozialdemokratie, der sich auf dem Parteikongress von Gotha 1875 mit dem Lassalleschen Flügel vereinigte. Bebel war von 1892 bis 1913 Vorsitzender der umbenannten Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) und mit Abstand ihr wichtigster parlamentarischer Sprecher und Stratege. Er wurde im Februar 1867 erstmals von einem sächsischen Wahlkreis in den Reichstag des Norddeutschen Bundes gewählt und nahm in diesem Parlament mit kurzen Unterbrechungen (darunter einer Gefängnisstrafe 1872-1875) bis zu seinem Tod 1913 ein Mandat wahr. Zudem war er von 1881 bis 1891 Abgeordneter in der zweiten Kammer des sächsischen Landtags.

Im Jahr 1879 veröffentlichte Bebel „Die Frau und der Sozialismus”. Mit der Veröffentlichung des Buches verstieß er gegen Bismarcks Sozialistengesetz, das im vorangegangenen Jahr verabschiedet worden war. Es wurde per Erlass vom 24. März 1879 offiziell verboten. Verbreitet durch das Untergrundnetzwerk aus Agenten, Vereinen und Herausgebern der SPD und später in zahlreichen Neuauflagen überarbeitet und erweitert, wurde es das meistgelesene Buch des Sozialismus bis zur Jahrhundertwende. Darin argumentiert Bebel, dass Frauen aus der Arbeiterklasse doppelt benachteiligt werden: als Arbeiterinnen und als Frauen. Sie hatten unter der wirtschaftlichen Abhängigkeit aller Mitglieder des Proletariats zu leiden, waren jedoch zudem von den Männern abhängig. Er besteht darauf, dass die Befreiung der Frauen nur durch die Lösung der „sozialen Frage“ möglich sei.

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Dieses Kapitel kann sehr kurz sein. Es enthält nur die Konsequenzen, die aus dem bis jetzt Gesagten für die Stellung der Frau in der künftigen Gesellschaft sich ergeben, Konsequenzen, die nunmehr der Leser leicht selbst ziehen kann.

Die Frau der neuen Gesellschaft ist sozial und ökonomisch vollkommen unabhängig, sie ist keinem Schein von Herrschaft und Ausbeutung mehr unterworfen, sie steht dem Manne als Freie, Gleiche gegenüber und ist Herrin ihrer Geschicke. Ihre Erziehung ist der des Mannes gleich, mit Ausnahme der Abweichungen, welche die Verschiedenheit des Geschlechts und ihre geschlechtlichen Funktionen bedingen; unter naturgemäßen Lebensbedingungen lebend, kann sie ihre physischen und geistigen Kräfte und Fähigkeiten nach Bedürfnis entwickeln und betätigen; sie wählt für ihre Tätigkeit diejenigen Gebiete, die ihren Wünschen, Neigungen und Anlagen entsprechen, und ist unter den gleichen Bedingungen wie der Mann tätig. Eben noch praktische Arbeiterin in irgendeinem Gewerbe ist sie in einem anderen Teil des Tages Erzieherin, Lehrerin, Pflegerin, übt sie in einem dritten Teil irgendeine Kunst aus oder pflegt eine Wissenschaft und versieht in einem vierten Teil irgendeine verwaltende Funktion. Sie treibt Studien, leistet Arbeiten, genießt Vergnügungen und Unterhaltungen mit ihresgleichen oder mit Männern, wie es ihr beliebt und wie sich ihr die Gelegenheit dazu bietet.

In der Liebeswahl ist sie gleich dem Mann frei und ungehindert. Sie freit oder läßt sich freien und schließt den Bund aus keiner anderen Rücksicht als auf ihre Neigung. Dieser Bund ist ein Privatvertrag ohne Dazwischentreten eines Funktionärs, wie die Ehe bis ins Mittelalter ein Privatvertrag war. Der Sozialismus schafft hier nichts Neues, er stellt auf höherer Kulturstufe und unter neuen gesellschaftlichen Formen nur wieder her, was, ehe das Privateigentum die Gesellschaft beherrschte, allgemein in Geltung war.

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