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Sopade-Bericht über die Stimmung unter den Arbeitern (September 1938)

Hitler verstand, dass ein allgemeiner Wirtschaftsaufschwung und die damit verbundene Reduzierung der Arbeitslosigkeit der beste Weg zur Sicherung der Loyalität des deutschen Volkes waren. Zu diesem Zweck veranlasste er schon 1933 die staatliche Finanzierung von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, wie z.B. den Bau der Autobahnen, wodurch er ein erhebliches Haushaltsdefizit erzeugte. Weiterhin wurden der Auf- und Ausbau von Privatunternehmen durch staatliche Kredite, Steuererlasse und dergleichen angeregt. Mit der zunehmenden Wirtschaftslenkung im Rahmen der Kriegsvorbereitung konnte das NS-Regime die fast vollständige Abschaffung der Arbeitslosigkeit innerhalb weniger Jahre als durchschlagenden Erfolg registrieren. Die Kehrseite dieses Wirtschaftsaufschwungs bestand unter anderem in der Gleichschaltung und Kontrolle der Arbeiterschaft. Während die NS-Regierung am 1. Mai 1933 den sogenannten „Tag der nationalen Arbeit“ zum ersten Mal als gesetzlichen Feiertag beging, leitete Robert Ley am folgenden Tag die Auflösung und Übernahme der Gewerkschaften in die „Deutsche Arbeitsfront“ (DAF). Dieser der NSDAP angeschlossene Einheitsverband regulierte von nun an das Verhältnis zwischen Arbeitgebern und -nehmern, wobei die letzteren ihr Streikrecht sowie ihr unabhängiges Organisationsrecht verloren. Die zahlreichen Unterorganisationen der DAF strebten die vollständige nationalsozialistische Kontrolle der Arbeiterschaft selbst in vielen Bereichen des privaten Lebens an. So organisierte z.B. das DAF-Amt „Kraft durch Freude“ die Freizeit- und Urlaubsgestaltung der Arbeiter und ihrer Familien. Wie der folgende, vom Exilvorstand der SPD beauftragte „Sopade-Bericht“ vom September 1938 veranschaulicht, waren sich viele Arbeiter bewusst, dass sie für ihre Beschäftigung unter dem NS-Regime einen hohen Preis zahlten.

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MITTELDEUTSCHLAND: In der Industriearbeiterschaft gibt es viele, die auf Erfolge des Hitlersystems nichts mehr geben und für den ganzen Zauber nur noch Hohn und Spott aufbringen. Andere wieder sagen: „Na, Adolf selber weiß vieles nicht und will vieles nicht.“ Aber bei denen weiß man nie genau, ob sie es ernst meinen oder nur mit dem Rücken an die Wand kommen wollen. Natürlich sind auch sehr viele ganz unpolitisch geworden. Gerade ein großer Teil der Facharbeiter, die lange Zeit arbeitslos waren, sind keine begeisterten Nazis. Sie schimpfen auch oft darüber, daß sie jetzt viel weniger verdienen als etwa 1929, aber das Ende vom Lied ist doch immer wieder: „Uns ist alles egal; wenigstens haben wir Arbeit.“ – Je weiter man in die minderbemittelten Schichten hinunterkommt, desto größer ist die Opposition. Aber noch heute – obgleich die Leute wissen, daß Arbeitermangel herrscht – sitzt allen die Angst in den Knochen, den Arbeitsplatz zu verlieren. Die Jahre der Erwerbslosigkeit sind nicht vergessen.

Die Nazis, die es noch im Betriebe gibt, sind kleinlaut. Man hat das Gefühl: viele bleiben nur dabei, um sich das Leben leichter zu machen. Wenn Diskussionen aufkommen, geben sie gewöhnlich nach oder bleiben abseits. Ihre Versammlungsphrasen lassen sie im Betrieb ganz weg. Die Tatsachen reden ja auch klar genug. Daß man für sein Geld immer weniger zu kaufen bekommt und daß die Antreiberei mit jedem Tag schlimmer wird, kann auch der „älteste Kämpfer“ nicht leugnen. Gerade die „alten Kämpfer“ haben übrigens das Dritte Reich meist gründlich satt. In den Angestelltenkreisen sieht es allerdings noch immer anders aus. Dort tun sich die in der Partei Arrivierten viel auf ihre Auszeichnungen und Titel zugute.

Die Stimmung in den Betrieben ist gedrückt. Gewiß, die Arbeit war auch früher kein Spaß und wurde von vielen nur als notwendiges Übel betrachtet. Aber früher hatte man immer das Gefühl: wenn dir etwas nicht paßt, kannst du deinem Herzen offen und ehrlich Luft machen. Vielleicht wird Abhilfe geschaffen, in jedem Fall ist es eine Erleichterung. Jetzt geht man schon deshalb schweren Herzens in die Fabrik, weil man immer fürchten muß, ein Wort zuviel zu sagen und sich in die Nesseln zu setzen. Auf dem ganzen Leben lastet ein Druck. Auf das Heimkommen freut man sich auch weniger als früher, weil es keine unbeschwerte Kameradschaft mit Nachbarn und Freunden mehr gibt. Früher traf man überall Gleichgesinnte, in den Arbeiter-Sport- und Bildungsvereinen, beim Schach, im Volkshaus. Jetzt geht man aus der Fabrik fort, besorgt noch ein paar Wege, geht heim, liest die Überschriften in der Zeitung und legt sich schlafen, um am nächsten Morgen denselben eintönigen Kreislauf wieder zu beginnen. Noch schlimmer sind die dran, die irgend einen „Dienst“ zu verrichten haben, sei es SS, SA, Partei oder Volkswohlfahrt. Die müssen sich dann abends noch weiter abplagen und stöhnen sehr, vor allem, wenn sie tagsüber schwere körperliche Arbeit verrichtet haben. Die meisten würden sich ihre Ämter gern vom Halse schaffen. Es fehlt ihnen aber der Mut dazu.



Quelle: Deutschland-Berichte der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SOPADE) 1934-1940. Bd. 5, 1938, Nr. 9, Salzhausen: P. Nettelbeck S. 980-81.

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