I. Freytag an den Herzog.
Leipzig, 21. Januar 1867. Mein theurer gnädigster Herr!
Auf einem Zettel habe ich die Namen verzeichnet, welche in dem neuen Parlament Hauptvertreter der nationalen Partei sein dürften. Es sind immer wieder die alten Namen vom Nationalverein, und von der preußischen Opposition.
Den rechten Zeitpunkt, sie zusammenzuladen, werden Ew. Hoheit am besten beurtheilen. Wird die Sache hinausgeschoben, so captiviren immer Mehre ihre eigenen Abstimmungen, indem sie zu früh Position nehmen. Wer sich einmal öffentlich ausgesprochen hat, fühlt sich an seine Erklärungen gebunden.
Andrerseits ist kaum möglich, daß die Geladenen einen Beschluß über die einzuschlagende Politik fassen, so lange sie die neue Reichsverfassung nicht kennen. Und der in Ew. Hoheit Händen befindliche Entwurf ist doch, abgesehen von der Gefahr, ihn den preußischen Geladenen mitzutheilen, nicht ganz maßgebend, weil Graf Bismarck jeden Augenblick weitere Concessionen — z. B. im Budgetrecht für opportun halten kann, und in solchem Fall ohne Bedenken einfügen wird.
Es wäre deshalb von entscheidender Bedeutung zu erfahren, ob Graf Bismarck gewillt ist, den Entwurf vor Eröffnung des Reichstages, resp. vor dem 12ten Februar als dem festgesetzten Wahltag, zu publiciren. Wäre dies der Fall, so würde mir als passender Termin zur Einladung die Zeit unmittelbar nach Bekanntmachung des Verfassungsentwurfes erscheinen. Will Graf Bismarck den Entwurf in Geheimniß hüllen, dann ist der nächste Termin der Einladung der beste.
Es müßte ein Sontag sein, damit die Berliner, welche mit Kammersitzungen beschäftigt sind, kommen könnten.
Mit den Wahlen wird es Ernst. Und doch ist dies allgemeine Wahlrecht das leichtsinnigste aller Experimente, welche Graf B. jemals gewagt hat. Niemand weiß, ob er gewählt wird. Und das wird in den nächsten Jahren noch schlimmer sein. Denn die Wahl liegt in den Städten in der Hand der Arbeiter, auf dem Land in der der kleinen Leute, Tagelöhner und Knechte.
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Ew. Hoheit
treugehorsamster
Freytag.