Ernst Neu, Das Ende Es jobbert* der Jude, es jobbert der Christ,
Es jobbern die Krämer und Schreiber,
Es jobbert der Gastwirt, der Prokurist,
Der Rechtsanwalt und sein Kopist,
Es jobbern die Kinder und Weiber.
Zu Haus, im Freien, beim Bier und Wein,
Beim Mittagstisch und im Bette,
Beim Skat und im Gesangverein –
Da wird gejobbert grob und fein,
Da schachert man um die Wette.
Der Kurs der Papiere, der Mergel, der Fliess
Sind heute der einzige Gedanke,
Ein Bohrloch erscheint als Paradies,
Von Anteilscheinen ein halbes Ries**
Ruht statt des Geldes im Schranke.
Der Tempel des Schwindels ragt stolz empor
Und glänzt durch blankes Gepränge:
Verlockende Töne berauschen das Ohr:
Hinein durch das vergoldete Tor
Drängt das Volk in wirbelnder Menge.
Doch knistert’s schon laut in den Balken und kracht,
Als nagte der Wurm am Tempel:
Doch siehe, die Pleite kommt über Nacht,
Und ehe noch einer daran gedacht,
Bricht donnernd zusammen der Krempel –
Begräbt unter Trümmern der Hoffnungen viel
Und schlägt manche blutende Wunde,
Vernichtet den Jobber mit Stumpf und Stiel –
Der Gründer allein hat gewonnen beim Spiel:
Und den letzten beissen die Hunde!
* Abegeleitet vom Hauptwort „jobber“, das im Englischen soviel wie Zwischenhändler, Aktienhändler, aber auch „Schreiber“ bedeutet. [Alle Fußnoten stammen aus: Gerhard A. Ritter und Jürgen Kocka, Hg., Deutsche Sozialgeschichte 1870-1914. Dokumente und Skizzen, 3. Aufl. München: Beck, 1982, S. 21-22.]
** Altes Papiermaß.
Quelle: Ernst Neu, „Das Ende“, erstveröffentlicht in Kladderadatsch, ca. 1873.
Abgedruckt in Gerhard A. Ritter and Jürgen Kocka, Hg., Deutsche Sozialgeschichte 1870-1914. Dokumente und Skizzen, 3. Aufl. München: Beck, 1982, S. 21-22.