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Der Gutsherr und „seine” Leute (um 1883)

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Das Geheimnis zur Lösung der Leutefrage auf dem Lande habe ich immer darin gesehen, den Arbeitern ein gerechter Vorgesetzter und ein wohlwollender Vertrauensmann in allen Lebenslagen zu sein. Dieses Geheimnis hatte ich noch von meinem Vater, der jedesmal, wenn er auf die Leutefrage zu sprechen kam, zu mir sagte: „Wenn du einst selbst wirtschaftest, so merke dir eines. Vor dem Oberpräsidenten deiner Provinz kannst du dich zur Not verleugnen lassen, aber niemals vor deinen Leuten."

So führte ich denn ein, daß ich zu jeder Zeit für meine Leute in allen Dingen zu sprechen war. Freilich war ich auch niemals nachsichtig, sondern hielt darauf, daß im Betrieb Gehorsam der oberste Grundsatz blieb. Auf diese Weise bildete sich im Laufe der Jahrzehnte auf allen meinen Gütern zwischen meinen Leuten und mir ein Vertrauensverhältnis, dessen Formen manchem nicht aus dem Osten stammenden Deutschen vielleicht eigenartig erscheinen mögen.

Wer aber Land und Leute des deutschen Ostens kennt, wer beides so in sein Herz geschlossen hat wie ich, der weiß, daß hinter der Rauheit der Form nur die Herzlichkeit verschlossen liegt. Manche Ehestreitigkeiten wurden mir von meinen Leuten vorgetragen, und viele dieser Streitigkeiten konnte ich schlichten, wenn ich mich dabei auch nicht der Maßnahmen des Bürgerlichen Gesetzbuches bediente, sondern den Maßstab aus dem Gesichtskreis und dem Empfinden der Leute selbst zu nehmen versuchte.

Der Landarbeiter ist immer eine der gesichertsten menschlichen Existenzen gewesen. Nach altem Herkommen, das schon aus der Zeit vor der Errichtung all der vielen Versicherungen stammt, ist der Landarbeiter des deutschen Ostens für die Zeit seines Alters versorgt. Er wird nicht von Haus und Hof verjagt, sondern bleibt auf dem Gute wohnen und erhält sein Altleute-Deputat. Die Söhne des Landarbeiters brauchen sich nicht nach Stellung und Beruf umzusehen. Sie treten ohne weiteres an die Stelle ihres Vaters. Mit andern Worten: Sie fangen da an, wo der Vater aufgehört hat.



Quelle: Elard von Oldenburg-Januschau, Erinnerungen. Leipzig, 1936. S. 43ff.

Abgedruckt in Gerhard A. Ritter und Jürgen Kocka, Hg., Deutsche Sozialgeschichte 1870-1914. Dokumente und Skizzen, 3. Aufl. München: C.H. Beck, 1982, S. 188-89.

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