GHDI logo

Friedrich Bülaus Ruf nach einer marktorientierten Lösung des Armutsproblems in Deutschland (1834)

Seite 2 von 8    Druckfassung    zurück zur Liste vorheriges Dokument      nächstes Dokument


In unsern Tagen ist eine plötzliche Angst unter die Reichen gekommen, und sie möchten sich um jeden Preis gegen die Gefahren sichern, die sie von dem wachsenden Elende der Armen fürchten. Ergriffen sie hier das natürlichste Mittel und erleichterten sie es den Armen, sich durch eigne Anstrengung auf eine höhere Stufe sinnlicher und geistiger Wohlfahrt zu heben, so wäre ihnen und dem Ganzen geholfen. So aber wollen sie bloß sich auf Kosten der Armen helfen und glauben, die Gefahr entfernt zu haben, wenn sie sich durch neue Beschränkungen der arbeitenden Klassen gegen diese verschanzt, folglich den Grund der Gefahr verstärkt haben. Aus diesem Geiste sind die Vorschläge zu Gesetzen geflossen, welche die Verheiratung sogenannter nahrungsloser Personen verhindern sollen. Als nahrungslos betrachtet man dabei nicht etwa diejenigen, die ohne Einkommen und zugleich unfähig zur Arbeit sind, z. B. vornehme Verschwender, die nichts gelernt haben, sondern der gilt für nahrungslos, der in seinen natürlichen Kräften ein Wertkapital besitzt, dessen Zinsen ihn nähren könnten, der auch den Willen hat, diese Kräfte mit unermüdlichem Fleiße zu seinem und der Seinigen Unterhalt und des gemeinen Wesens Frommen anzustrengen, dem aber die bürgerlichen Einrichtungen selbst, dem die Gesetze der Reichen, die Zunftartikel, die Privilegien der Städte, die Zollgesetze des Staats die Gelegenheit genommen haben, sich sein Brot auf ehrliche Weise zu verdienen. Wenn man einem armen Schuhmacher auf dem Lande, der ein Paar Stiefel nicht geflickt, sondern gefertigt hat, das Handwerkszeug wegnimmt und wir seine Frau und seine sechs Kinder beklagen, die er bis dahin redlich ernährt und treu erzogen hatte, so antwortet man wohl mit der moralischen Indignation des Glücklichen: warum mußte der Mensch heiraten und Kinder in die Welt setzen? Warum? Weil auch er der Liebe empfänglich und in seiner gedrückten Lage ihrer doppelt bedürftig ist. Weil er eine Genossin seiner Arbeit, eine Teilnehmerin seiner Beschwerden braucht. Weil er ein Mensch ist und weil er noch glaubt, die Ehe sei ein sittliches Verhältnis und für jeden, dem sie irgend möglich, Pflicht. Verbietet ihr den Armen die Ehe, so habt ihr die Menschenwürde durch den insolentesten Übermut beleidigt, der natürlichen Gleichheit furchtbaren Hohn gesprochen, die heiligsten Gefühle zerrissen, eurem Mitmenschen und Mitbürger die letzte Quelle unschuldiger Freuden, das Band, was ihn in manchen Momenten der Stufe höher denkender Menschen näherte, was ihn an seinen Herd, an seine Gemeinde, sein Land fesselte, was ihm die Religion ehrwürdig und die bürgerliche Gesellschaft teuer, was ihm die Gegenwart wert und die Zukunft wichtig macht — diese Quelle habt ihr ihm verstopft, dieses Band entzogen, ihm alles geraubt, was über den gemeinsten Egoismus hinausgeht! Und dann noch verlangt ihr, er solle ein fleißiger und genügsamer Arbeiter, ein guter, sittlicher und rechtlicher Mensch, ein treuer, ruhiger und dankbarer Bürger sein. Es sind ja so rein menschliche Gefühle: die eheliche Zärtlichkeit, die Vater-, die Mutterliebe; es ist ja so wenig und doch so viel, was der Arme in ihnen hat. Uns ersetzt das Vaterland, die Wissenschaft, das Geschäft jene Genüsse, der Arme und Unglückliche hat nichts als sie. Macht ihr es ihm unmöglich, den Naturtrieb in sittlicher Form zu befriedigen, so müßt ihr den unehelichen privilegieren, so mietet Straßendirnen und gebt sie gratis dem Volke preis, baut Findelhäuser und seht dann, was für eine Generation ihr hervorgerufen habt. Freilich wird die Bevölkerung nicht so bedenklich wachsen, denn von den Geschöpfen unehelicher Verbindungen kommen zum Glück die meisten nicht auf! Es ist schwer, über diesen Gegenstand ruhig zu schreiben. Recht, Moral, Religion und Politik lehnen sich gleichmäßig gegen jene Vorschläge auf. [ . . . ]

erste Seite < vorherige Seite   |   nächste Seite > letzte Seite