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Ernst Dronke: Auszüge aus Berlin (1846)

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Ihr blickt überrascht auf, da keiner dieser Namen Euch gehört, und die schöne Unbekannte schlägt errötend über ihren Irrtum, die Folgen einer täuschenden Ähnlichkeit, die Augen nieder; am Tage darauf aber werdet ihr beide mit sehr vergnügtem Ausdruck bei Kroll oder an einem andern öffentlichen Orte sitzend und trotz Heinrich, Jonathan und Nepomuk miteinander Champagner trinkend, zu sehen sein. Das sind mitunter so die ersten Erfahrungen der Ankunft. Seid Ihr ihnen glücklich entschlüpft, so fahrt Ihr nach Eurem Absteigequartier und betrachtet unterwegs die großen, breiten Straßen mit den prächtigen, palastähnlichen Gebäuden. Aber wie sollt Ihr einen Gesamteindruck dieses großen, aus so verschiedenen Elementen zusammengesetzten Ganzen erhalten?

Ihr habt keine Zeit, Euch lange mit einer einzelnen Stadt zu beschäftigen; das Leben ist kurz, und die Schnelligkeit der heutigen Reisen noch viel zu langsam. Heute Paris, morgen London; jetzt Rom, dann Berlin; darauf Petersburg und von dort nach Texas; zugvögeln im Norden und gähnend zurückkehren aus Ägypten; muß man zu dem allem nicht die Zeit im Fluge benutzen? Ein schnelles Urteil, einen kurzen Eindruck und dann weiter.

Das erste ist die Äußerlichkeit einer Stadt, welche uns gewöhnlich auch eine Vorstellung von dem inneren Leben und Treiben zu geben pflegt. Die hohen Giebelhäuser, die abendlichen Versammlungen der Familien auf den Bänken vor der Haustür, die rauschenden Brunnen auf dem Markt, und was alles die süddeutschen Städte charakterisiert, sagt uns sogleich, daß wir es hier mit dem patriarchalischen Wesen des Katholizismus zu tun haben; in Berlin, beim Anblick der großen, graden Straßen, der abgeteilten Viertel, die wie Soldaten aufmarschiert stehen, der hellen Häuser, wissen wir, in welchem modernen Geist wir uns befinden.

In den Gegenden, wo die kleine Bourgeoisie wohnt, sind die Häuser wohlansehnlich und fast denen des aristokratischen Stammlagers gleich, aber sie stehen hier auf schlechtem Grund; der Boden ist sumpfig, und nicht selten senken sich die Wände der Gebäude, stürzen wohl gar ein oder müssen nach einigen Jahren abgerissen werden. Diesem Ausdruck gemäß zeigt sich auch das Leben des sogenannten Mittelstandes in Berlin. Äußerlich glänzend jagen sie Vergnügungen nach, prunken nach außen hin, an allen öffentlichen Orten, mit Üppigkeit und Pracht, während ihr häusliches Leben zugrunde gerichtet ist. Man kann nie sicher sein, ob die Familien, welche bei Konzerten, öffentlichen Vergnügungen und so weiter in Samt und Seide einherrauschen, nicht eben zu diesem Vergnügen ihr Mittagbrot aufgeben oder die notwendigsten Bedürfnisse, Betten und Möbel, opfern mußten. — Draußen vor dem Hamburger Tor ist es düster und unheimlich, hier sind die Hütten des Elends und der Verzweiflung — und doch richten sich hierher manche Augen aus dem rauschenden, vergnügungssüchtigen Treiben der innern Stadt, man hat größere, bessere Wohnungen dort eingerichtet, und fast scheint es, als ob eine neue Stadt aus diesem ausgestoßenen Teil entstehen wolle. Die Zukunft wird lehren (wie es zum Teil, wenn auch nur selten und leise, die Vergangenheit angedeutet), welcher Geist von hier über die Stadt ersteigen wird.

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