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Daniel Schenkel: Auszüge aus Der Deutsche Protestantenverein (1868)

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Daher gingen die Erwartungen, die man von dem Protestantismus anfänglich hegte, großentheils nicht in Erfüllung. So lange das deutsche Culturleben im Ganzen und Großen die Durchschnittslinie der Bildungshöhe des sechszehnten Jahrhunderts nicht überschritt, fühlte die Nation sich durch die neuen kirchlichen Zustände ziemlich befriedigt. Sie waren immerhin besser als diejenigen des vom Jesuitismus beherrschten römischen Kirchenthums. Als aber seit der Mitte des 18. Jahrhunderts der allgemeine Umschwung der Wissenschaften den herkömmlichen geistigen Vorstellungskreis auflöste und die unfehlbare Autorität der Bibel sich gegenüber den bahnbrechenden neuen naturwissenschaftlichen Entdeckungen und philosophischen Ideen nicht mehr halten konnte, da gerieth auch die protestantische Kirche mit der Wissenschaft und Bildung in ein Zerwürfniß, das nur deshalb einstweilen keine übleren Folgen hatte, weil im 18. Jahrhundert die Theologen die Fahne der Aufklärung aufpflanzten, die Selbstständigkeit der Religion, die Unfehlbarkeit der Bibel, die Autorität des kirchlichen Bekenntnisses preisgaben, und die unbedingte Herrschaft der Vernunft auch auf dem religiösen Gebiete anerkannten.

Diese Entwerthung der Religion war allerdings beklagenswerth, und ein Mann, der wahrhaft reformatorisch auf unser Jahrhundert gewirkt, Fr. Schleiermacher, hat sie in seinen „Reden über die Religion an die gebildeten unter ihren Verächtern" siegreich und erfolgreich bekämpft. Die Cultur, getrennt von der Religion, besitzt keine Wärme, wie die Religion, entfremdet von der Cultur, kein Licht. Das deutsche Volk sehnte sich beim Beginne dieses Jahrhunderts auch wieder nach religiöser Erhebung und Erfrischung; furchtbare Prüfungen, die eiserne Noth führten zu religiöser Vertiefung und sittlicher Läuterung zurück; es schien eine Zeit anbrechen zu wollen, in welcher eine schwungvolle Religiosität mit einer gediegenen nationalen Bildung Hand in Hand gehen würde.

Es ist anders geworden. Mit der politischen Restauration im Jahre 1815 verband sich die religiöse. Mit den Jesuiten in der katholischen Kirche kehrten die Buchstäbler in der protestantischen zurück. [ . . . ]

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