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Carl von Clausewitz: Auszüge aus Vom Kriege (1832)

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(Sechstes Buch) Sechstes Kapitel: UMFANG DER VERTEIDIGUNGSMITTEL

Wir haben in dem zweiten und dritten Kapitel dieses Buches gezeigt, wie die Verteidigung im Gebrauch derjenigen Dinge, welche außer der absoluten Stärke und dem Wert der Streitkräfte den taktischen wie den strategischen Erfolg bestimmen, nämlich Vorteil der Gegend, Überraschung, Anfall von mehreren Seiten, Beistand des Kriegstheaters, Beistand des Volkes, Benutzung großer moralischer Kräfte —, eine natürliche Überlegenheit hat. Wir halten es für nützlich, hier noch einen Blick auf den Umfang derjenigen Mittel zu werfen, welche dem Verteidiger vorzugsweise zu Gebote stehen und gewissermaßen als die verschiedenen Säulenordnungen seines Baues zu betrachten sind.

1. Die Landwehr. Sie ist in neueren Zeiten auch außer dem Lande zum Angriff des feindlichen Landes gebraucht worden, und es ist nicht zu leugnen, daß ihre Einrichtung in manchen Staaten, z. B. Preußen, von der Art ist, daß sie fast wie ein Teil des stehenden Heeres betrachtet werden muß, also der Verteidigung nicht allein angehört. Indessen ist doch nicht zu übersehen, daß ihr sehr kräftiger Gebrauch 1813, 1814 und 1815 von dem Verteidigungskriege ausging, daß sie an den wenigsten Orten wie in Preußen eingerichtet, bei jedem unvollkommenen Grade der Einrichtung aber notwendig mehr zur Verteidigung als zum Angriff geeignet sein muß. Außerdem aber liegt in dem Begriff der Landwehr immer der Gedanke einer außerordentlichen, mehr oder weniger freiwilligen Mitwirkung der ganzen Volksmasse beim Kriege mit ihren körperlichen Kräften, ihrem Reichtum und ihrer Gesinnung. Je mehr sich die Einrichtung davon entfernt, um so mehr wird das, was sie aufstellt, ein stehendes Heer unter anderem Namen sein, um so mehr wird es die Vorteile desselben haben, aber auch um so mehr die Vorteile der eigentlichen Landwehr entbehren, nämlich eines Kraftumfanges, der viel ausgedehnter, viel weniger bestimmt, viel leichter durch Geist und Gesinnung zu steigern ist. In diesen Dingen liegt das Wesen der Landwehr; dieser Mitwirkung des ganzen Volkes muß durch die Linien ihrer Einrichtung Spielraum gelassen werden, oder man verfolgt, indem man sich von der Landwehr etwas Besonderes verspricht, ein Schattenbild.

Nun ist aber die nahe Verwandtschaft nicht zu verkennen, in welcher dieses Wesen einer Landwehr mit dem Begriff der Verteidigung steht, und also auch nicht zu verkennen, daß eine solche Landwehr der Verteidigung immer mehr angehören wird als dem Angriff, daß sie diejenigen Wirkungen, womit sie den Angriff überbietet, hauptsächlich bei der Verteidigung zeigen wird.

2. Festungen. Die Mitwirkung der Festungen des Angreifenden erstreckt sich nur auf die der Grenze zunächst gelegenen und ist nur schwach; bei dem Verteidiger greift sie tiefer ins Land hinein, bringt also mehrere in Wirksamkeit, und diese Wirksamkeit selbst ist von einer ungleich größeren intensiven Stärke. Eine Festung, die eine wirkliche Belagerung veranlaßt und aushält, drückt natürlich mit einem stärkeren Gewicht auf die Waagschale des Krieges als eine, welche durch ihre Werke bloß den Gedanken einer Wegnahme dieses Punktes entfernt, also nicht wirklich feindliche Kräfte beschäftigt und zerstört.

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