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Bundespräsident Johannes Rau ruft zu mehr Toleranz gegenüber Einwanderern auf (12. Mai 2000)

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Auch den Beschäftigten bei Polizei und Justiz, auch den Mitarbeitern von Meldeämtern und Ausländerämtern, von Arbeits- und Sozialämtern möchte ich für ihre oft schwierige und manchmal frustrierende Arbeit danken, für die sie viel Geduld und Fingerspitzengefühl brauchen.

Ich habe schon zu Anfang darauf aufmerksam gemacht: 30 Prozent aller Schulkinder in Deutschland haben inzwischen einen „Migrationshintergrund“. Das bedeutet oft: geringe Sprachkenntnisse, schlechte Integration in der Lerngruppe, mangelndes Engagement der Eltern, die mit Kindergarten und Schule nicht oder nur wenig zusammenarbeiten.

Wie viele Probleme werden – vom Kindergarten an – an die jeweils nächsthöhere Bildungseinrichtung weitergereicht!

In Wirklichkeit brauchen wir also vom Kindergarten und von der Grundschule an eine Pädagogik, die Integrationsförderung nicht als Beiwerk missversteht.

Hat diese Aufgabe bei der Lehrerausbildung schon genügend Niederschlag gefunden? Sind Lehrerinnen und Lehrer schon genügend darauf vorbereitet, in Klassen mit der Hälfte oder mehr nichtdeutscher Kinder zu unterrichten? Vor allem Lehrerinnen sehen sich oft mit nicht akzeptablen Verhaltensweisen konfrontiert, die aus ganz anderen Vorstellungen von Autorität und Geschlechterrollen stammen. Was tun wir dagegen? Was in der Schule nicht geleistet wird, das kann oft ein Leben lang nicht ausgeglichen werden.

Wenn die Zahl der türkischstämmigen Studierenden an unseren Hochschulen sich in den letzten zehn Jahren verdoppelt hat, dann ist das erfreulich.

Aber die Zahl der ausländischen Hauptschüler ist im Verhältnis zu ihrer Altersgruppe dreimal so groß ist wie die der deutschen – und bei den weiterführenden Schulen ist es genau umgekehrt.

40 Prozent der nicht deutschstämmigen Jugendlichen mit Hauptschulabschluss bekommen keinen Ausbildungsplatz.

• Wir brauchen Bildungskonzepte, die stärker zur Kenntnis nehmen, dass der Schüler aus einer deutschen Familie mit abendländisch-christlichem Hintergrund nicht mehr überall der Normalfall ist. Das gehört viel stärker in die pädagogische und didaktische Ausbildung und Weiterbildung der Lehrerinnen und Lehrer.
• Wir haben gute Modellprojekte, in denen Mütter und Kinder gemeinsam Deutsch lernen, weil die Mütter in den meisten Fällen den Hauptteil der Erziehung leisten.
• Wer auf Dauer in Deutschland lebt, muss deutsch sprechen können. Darum ist „Deutsch für Ausländer“ ein zentrales Bildungsprojekt für die Zukunft unserer Gesellschaft. Wir brauchen dafür mehr Lehrerinnen und Lehrer. Ich weiß: das kostet Geld. Ich weiß aber auch: Wer heute an der falschen Stelle spart, muss dafür später teuer bezahlen.
• Es ist kein Zeichen von Ausländerfeindlichkeit, wenn Lehrer und Schulleiter darauf achten, dass in der Schule deutsch gesprochen wird. Ganz im Gegenteil: Wo das nicht geschieht, scheitert die Integration von Anfang an – zum Schaden aller Kinder.
• Es ist in unserem gemeinsamen Interesse, dass alle Ausländer oder neu Eingebürgerten möglichst gute Bildungschancen haben. Bildung fördert die Integration, Bildung eröffnet Chancen auf gute Arbeitsplätze, Bildung macht gesprächsfähig.
• Bildung ist schließlich das A und O jeder Begegnung der Kulturen, die diesen Namen wirklich verdient. Nur Bildung hilft, Vorurteile zu überwinden. Sie ist der beste Schutz vor Fundamentalismus und Rassismus.

Was wir unbedingt verhindern müssen, ist die Entstehung eines neuen Bildungsproletariats, einer Schicht, die aus Mangel an Bildung den sozialen Anschluss verliert. Das führt zu ethnischer Ghettobildung mit allen schädlichen, ja gefährlichen Folgen.

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