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Bundespräsident Johannes Rau ruft zu mehr Toleranz gegenüber Einwanderern auf (12. Mai 2000)

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XI.

Zu den schädlichen Folgen von Ghetto- und Cliquenbildung, von misslungener Integration, von Aussichtslosigkeit auf dem Arbeitsmarkt, von sozialer Randständigkeit gehören Gewalttätigkeit und Kriminalität.

Mit Zahlen und Statistiken darüber wird oft Missbrauch getrieben. Sie müssen sorgfältig gelesen werden. Dann erweist sich manches Urteil als Vorurteil.

Es stimmt aber, dass vor allem jüngere, männliche Ausländer und Aussiedler überdurchschnittlich an Straftaten und Gewalttaten beteiligt sind. Sie müssen, wie alle anderen Straftäter auch, nach Recht und Gesetz – und möglichst schnell – bestraft werden.

Die Statistik zeigt aber auch ganz deutlich: Wo Integration – durch Bildung, Ausbildung und Arbeit – gelungen ist, da sind Gewalt und Kriminalität bei jungen Ausländern nicht stärker verbreitet als bei jungen Deutschen.

Übrigens: ein Skinhead mit Springerstiefeln wirkt auf mich auch dann nicht weniger gefährlich, wenn er womöglich einen deutschen Pass hat.


XII.

Unsere Gesellschaft ist immer noch stark von christlichen Traditionen geprägt, doch sie ist stärker säkularisiert, als viele wahrnehmen. Erleben inzwischen nicht manche, die selber ohne religiöse Prägung sind, im muslimischen Nachbarn zum ersten Mal einen Menschen, der seinen Glauben im Alltag lebt? Und müssen nicht umgekehrt gläubige Muslime besonders in unseren Großstädten oft den Eindruck haben, tatsächlich in einer Welt der „Ungläubigen“ zu leben, gegen die sie sich nur durch besonders strenges Festhalten am Althergebrachten glauben schützen zu können? Strenge islamische Erzieher und Eltern befürchten für ihre Kinder eine ähnliche Abkehr von der Religion, wie es bei uns Eltern mit ihren Kindern seit Jahrzehnten erleben.

Die Freiheit des Glaubens und der Religion gilt für alle Menschen in unserem Land, nicht nur für Christen. Dazu gehört auch die Freiheit, dem Glauben Ausdruck zu geben – in Gottesdienst und gottesdienstlichen Räumen. Darum gibt es inzwischen in vielen Städten Moscheen in Deutschland.

An den Anblick dieser Moscheen, wenn sie denn wie klassische Moscheen aussehen, haben sich viele erst gewöhnen müssen. Ich füge hinzu: Vielen würde das leichter fallen, wenn Christen in islamischen Ländern das gleiche Recht hätten, ihren Glauben zu leben und auch Kirchen zu bauen.

Ich bin dafür, dass in unseren Schulen islamischer Religionsunterricht erteilt werden kann. Das sollte in deutscher Sprache geschehen, durch staatlich ausgebildete und anerkannte Lehrer und auf der Grundlage von Unterrichtskonzepten, die von anerkannten islamischen Partnern erarbeitet und von den Schulministerien genehmigt werden.

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