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Romantik: Friedrich Karl Wilhelm von Schlegel: Auszüge ausgewählter Schriften (1798-1804)

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Die echte Quelle der Kunst und des Schönen aber liegt im Gefühl. Mit dem Gefühl ergibt sich der richtige Begriff und Zweck der Kunst von selbst, und das bestimmte Wissen dessen, was man will, wenngleich der Künstler es nicht in Worten, sondern nur praktisch bewähren kann. Das religiöse Gefühl, Andacht und Liebe, und die innigste stille Begeisterung derselben war es, was den alten Malern die Hand führte und nur bei einigen wenigen ist auch das hinzugekommen oder an die Stelle getreten, was allein das religiöse Gefühl in der Kunst einigermaßen ersetzen kann: das tiefe Nachsinnen, das Streben nach einer ernsten und würdigen Philosophie, die in den Werken des Leonardo und des Dürer sich, freilich nach Künstlerweise, doch ganz deutlich meldet. Vergebens sucht man die Malerkunst wieder hervorzurufen, wenn nicht erst die Religion oder eine auf diese gegründete christliche Philosophie wenigstens die Idee derselben wieder hervorgerufen hat. Dünkte aber dieser Weg den jungen Künstlern zu fern und zu steil, so möchten sie wenigstens die Poesie gründlich studieren, die jenen selben Geist atmet. Weniger die griechische Dichtkunst, die sie doch nur ins Fremde und Gelehrte verleitet, und die sie nur in Übersetzungen lesen, wo vor dem hölzernen Daktylengeklapper die alte Anmut weit entflohen ist, als die romantische. Die besten Dichter der Italiener und der Spanier, nebst dem Shakespeare, auch die zugänglichsten unter den altdeutschen Gedichten, und dann die Neueren, die am meisten in jenem romantischen Geiste gedichtet sind; das seien die beständigen Begleiter eines jungen Künstlers, die ihn allmählich zurückführen könnten in das alte romantische Land und den prosaischen Nebel antikischer Nachahmerei und ungesunden Kunstgeschwätzes von seinen Augen hinwegnehmen. Die Hauptsache aber bleibt, daß es dem Künstler ernst sei mit dem tiefen religiösen Gefühl, in wahrer Andacht und im lebendigen Glauben; denn durch die bloße Spielerei der Phantasie mit den katholischen Sinnbildern und ohne jene Liebe, welche stärker ist als der Tod, läßt sich die hohe christliche Schönheit nicht erreichen.

Worin besteht denn nun aber diese christliche Schönheit? – Man muß vor allen Dingen zur Erkenntnis des Guten und des Bösen in der Kunstlehre zu gelangen suchen. Wer das inn[e]re Leben nicht hat und nicht kennt, der kann es auch als Künstler nicht in großer Offenbarung herrlich entfalten, sondern bewegt sich nur mit fort in dem verworrnen Strudel und Traume eines bloß äußerlichen, innerlich ganz wesenlosen und eigentlich nichtigen Daseins; statt daß uns die Kunst grade aus diesem herausrücken und in die höhere, geistige Welt emporheben sollte. Er dient, als falscher Modekünstler, dem leeren Schein einer angenehmen Täuschung, und ein solcher erreicht niemals, ja er berührt auch nicht einmal die Region des echten Schönen. Die heidnische Kunst geht aus von der Vollkommenheit der organischen Gestalt, nach dem positiven Begriff eines fest bestimmten Naturcharakters. Sie findet auf ihrem Wege der lebendigsten Entfaltung aller gebildeten Formen wie von selbst den Reiz der Anmut, als natürliche Blüte der jugendlichen Schönheit; aber immer bleibt es mehr ein sinnlicher Reiz als eine geistige Anmut der Seele. Will die antike Kunst höher steigen, so geht sie über in die titanische Kraft und Erhabenheit; oder aber in den hohen Ernst der tragischen Schönheit, und dieses ist die äußerste Linie, welche sie erreichen kann und wo sie das Ewige am nächsten berührt. So stehen für sie an dem verschlossenen Eingang des ewigen Schönen auf der einen Seite der titanische Übermut, welcher mit Gewalt eindringen und den Himmel des Göttlichen erstürmen will, ohne daß er dieses je vermag; auf der andern Seite aber die ewige Trauer, im tiefen Bewußtsein der eignen, unauflöslichen Verschlossenheit unwandelbar versenkt. Das Licht der Hoffnung ist es, was der heidnischen Kunst fehlt und als dessen höchsten oder letzten Ersatz sie nur jene hohe Trauer und tragische Schönheit kennt; und dieses Licht der göttlichen Hoffnung, getragen auf den Fittichen des seligen Glaubens und der reinen Liebe, obwohl es hienieden nur in den Strahlen der Sehnsucht schmerzlich hervorbricht, ist es, was uns aus den Gebilden der christlichen Kunst, in göttlicher Bedeutung, als himmlische Erscheinung und klare Anschauung des Himmlischen entgegentritt und anspricht und wodurch diese hohe, geistige Schönheit, welche wir eben darum die christliche nennen, möglich und für die Kunst erreichbar wird.

Es wird indessen eines langen Kampfes bedürfen, und manche alte und neue Wege werden noch eingeschlagen und versucht werden, ehe der rechte Weg gefunden und geebnet ist und die wiedergeborne Kunst, sicher wie auf fester Bahn, in religiöser Schönheit emporblühend, zu diesem Ziele voranschreiten mag.

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Quelle: Friedrich Schlegel, Kritische Schriften, Hg., Wolfdietrich Rasch. München: Carl Hanser Verlag, 1958, S. 406-9.

Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Carl Hanser Verlags, München.

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