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Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Auszüge aus Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (1817)

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Die Natur ist deßwegen nach ihrer bestimmten Existenz, wodurch sie eben Natur ist, nicht zu vergöttern, noch sind Sonne, Mond, Thiere, Pflanzen u.s.f. vorzugsweise vor menschlichen Thaten und Begebenheiten, als Werke Gottes zu betrachten und anzuführen. – Die Natur ist an sich, in der Idee göttlich, aber in dieser ist ihre bestimmte Art und Weise, wodurch sie Natur ist, aufgehoben. Wie sie ist, entspricht ihr Seyn ihrem Begriffe nicht; ihre existirende Wirklichkeit hat daher keine Wahrheit; ihr abstractes Wesen ist das Negative wie die Alten die Materie überhaupt als das non-ens gefaßt haben. Weil sie aber obzwar in solchem Elemente Darstellung der Idee ist, so mag man in ihr wohl die Weisheit Gottes bewundern; wenn aber Vanini sagte, daß ein Strohhalm hinreiche, um das Seyn Gottes zu erkennen, so ist jede Vorstellung des Geistes, die schlechteste seiner Einbildungen, das Spiel seiner zufälligsten Launen, jedes Wort ein vortreflicherer Erkenntnißgrund für Gottes Seyn, als irgend ein einzelner Naturgegenstand. In der Natur hat das Spiel der Formen nicht nur seine ungebundene, zügellose Zufälligkeit, sondern jede Gestalt für sich entbehrt des Begriffs ihrer selbst. Das Höchste, zu dem es die Natur in ihrem Daseyn treibt, ist das Leben, aber als nur natürliche Idee ist dieses der Unvernunft der Aeusserlichkeit hingegeben, und die individuelle Lebendigkeit ist in jedem Momente ihrer Existenz mit einer ihr andern Einzelnheit befangen; da hingegen in jeder geistigen Aeusserung das Moment freyer allgemeiner Beziehung auf sich selbst enthalten ist. – Mit Recht ist die Natur überhaupt als der Abfall der Idee von sich selbst bestimmt worden, weil sie in dem Elemente der Aeusserlichkeit die Bestimmung der Unangemessenheit ihrer selbst mit sich hat. – Ein gleicher Misverstand ist es, wenn menschliche Kunstwerke natürlichen Dingen deßwegen nachgesetzt werden, weil zu jenen das Material von Aussen genommen werden müsse, und weil sie nicht lebendig seyen. – Als ob die geistige Form, nicht eine höhere Lebendigkeit enthielte, und des Geistes würdiger wäre, als die natürliche, und als ob in allem Sittlichen nicht auch das, was man Materie nennen kann, ganz allein dem Geiste angehörte. – Die Natur bleibt, bey aller Zufälligkeit ihrer Existenzen, ewigen Gesetzen getreu; aber doch wohl auch das Reich des Selbstbewußtseyns; – was schon in dem Glauben anerkannt wird, daß eine Vorsehung die menschlichen Begebenheiten leite; – oder sollten die Bestimmungen dieser Vorsehung in diesem Felde auch nur zufällig und unvernünftig seyn? – Wenn aber die geistige Zufälligkeit, die Willkühr, bis zum Bösen fortgeht, so ist dieß noch ein unendlich höheres als das gesetzmäßige Benehmen der Gestirne oder als die Unschuld der Pflanze.

§. 195.
Die Natur ist als ein System von Stuffen zu betrachten, deren eine aus der andern nothwendig hervorgeht und die nächste Wahrheit derjenigen ist, aus welcher sie resultirt, aber nicht so, daß die eine aus der andern natürlich erzeugt würde, sondern in der innern den Grund der Natur ausmachenden Idee.

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