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Hedwig Dohm, „Das Stimmrecht der Frauen” (1876)

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2. Die Frau fordert das Stimmrecht um der sittlichen Folgen willen.

Ebensosehr wie die politischen sind die sittlichen Folgen des Stimmrechts in Betracht zu ziehen. Der Frauen Teilnahme am politischen Leben bedeutet Erhöhung des geistigen Niveaus der Frau überhaupt, sie bedeutet ihre geistige und materielle Selbständigkeit.

Je enger der Kreis ist, auf den sich ein Mensch mit seiner Tätigkeit angewiesen sieht, je unbedeutender die Interessen, denen er sein Leben zu widmen gezwungen wird, je dürftiger wird sein Geistesleben sich gestalten. [ . . . ] Aber nicht nur die Abnahme intellektueller Energie und eine traurige Monotonie der Situationen und Geistesrichtungen wird das Resultat einer solchen Absperrung sein, sondern auch eine Schwächung des moralischen Charakters ist dabei fast immer unausbleiblich. [ . . . ] Was bleibt der Frau übrig? – Die Samtrobe und der indische Shawl, die Künste der Koketterie und die Inszenierung ihrer Reize, wenn sie ein wenig Reklame für sich machen will. Und reklamesüchtig ist nun einmal das menschliche Geschlecht. Da ihr Inwendiges ihr keine Geltung verschafft, verwendet sie ihre Talente auf ihr Auswendiges.

Wie kommen die Männer dazu, sich über die Toilettenausgaben ihrer Damen zu beklagen? [ . . . ]

Wenn die Frau nicht über einen starken Geist gebietet, so verfällt sie dadurch, daß sie in einer niederen Sphäre festgehalten wird, den Sitten und Lastern der Knechtschaft, deren sie bedarf, um sich ihre Situation erträglich zu machen. Sie bedarf der List, der Heuchelei, der Intrigue, der Schmeichelei. Wie oft mag das Streben eines edel angelegten und hochbegabten weiblichen Geistes durch die verderblichen Einflüsse seiner Lage verloren gegangen sein, denn jeder Mensch, sei er noch so trefflich angelegt, ist der Entartung fähig.

Der Despotismus der Männer verurteilt die Frau zur Korruption. Die Frauen haben bis heute keinen Anteil am Staatsleben und die Prostitution blüht in Stadt und Land.

[ . . . ]

Die Männer, als Polizisten des lieben Gottes, zwingen die Gedanken der Frau in niedere Anschauungskreise, und sie rächt sich für diesen Despotismus der Gesellschaft, indem sie sich als Ballast an den Fortschritt der Völker hängt.

[ . . . ]

Nicht den Männern können wir es mit Fug und Recht verdenken, daß sie die Frauen nicht neben sich im Staate dulden wollen. Wir finden es ganz natürlich, daß sie an ihren Geschlechtsprivilegien festhalten mit zäher Standhaftigkeit. Wann hätte je ein Stand oder eine Klasse auf Vorrechte irgendwelcher Art freiwillig verzichtet? Wir finden es ganz in der Ordnung, wenn sie die Suppe nicht kochen und die kleinen Kinder nicht warten wollen, der Gedanke an die Mitwirkung der Frau im Staat ist bei den klügsten Männern unzertrennlich von der Vorstellung, daß als Ausgleichung dafür ein Teil ihrer Kräfte in Küche, Kinderstube und im Waschkeller zugrunde gehen müsse.

Nicht gegen die Männer richten sich unsere bittersten Empfindungen, unsere härtesten Anklagen, sondern gegen die Frauen, die feige es dulden, daß eine Generation nach der anderen sie achtlos beiseite schiebt. Gegen die Frauen empört sich jeder stolzere Sinn und jedes kühnere weibliche Herz, die sich begnügen mit der Freiheit, nach Herzenslust kochen und nähen zu dürfen, und die allergehorsamst vor den Männern zu einem bedeutungslosen Nichts zusammenschrumpfen, gegen die Frauen, die fort und fort ihre lebendigen Geister und Herzen darbringen als Opfer auf dem Altar der Männeranbetung, die es immer noch dulden, daß man ihnen das Jammerbild einer Griseldis, dieser Idiotin an Gefühl und Verstand, als Musterbild vollkommener Weiblichkeit vorhält, und die, wenn untauglich geworden zur Lust oder zum Nutzen des Mannes, ohne Murren, mögen sie sich gleich noch Jahrzehnte hindurch im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte befinden, in stillen Winkeln das Gnadenbrot der Gesellschaft essen.

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