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Hedwig Dohm, „Das Stimmrecht der Frauen” (1876)

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So lange es heißt: der Mann will und die Frau soll,
leben wir nicht in einem Rechts-, sondern in einem Gewaltstaat.

Und so lange der Mann unverantwortlicher Gesetzgeber für die Frau ist, werden im wesentlichen die Zustände bleiben, wie sie sind. [ . . . ]

Die Frauen wollen keine Gnadenbeweise, sie betteln nicht um Privilegien, sie betteln
nicht um Wohltaten und Almosen.
Sie fordern Gerechtigkeit.

Jede Frau, die man Gesetzen unterwirft, die andere ohne ihre Mitwirkung gemacht haben, ist in ihrem Recht, wenn sie die Steuern verweigert. Und in der Tat sind bereits in England und Amerika Frauen mit der Weigerung, die Steuern zu zahlen, vorgegangen. [ . . . ]

Die Frauen fordern das Stimmrecht, weil sie der Unterdrückung, der Heuchelei, der Erniedrigung müde sind, sie fordern es, weil sie ein Recht haben, daß ihre Stimme gehört werde bei der Abfassung von Gesetzen, welche ihre soziale Stellung und ihre individuellen Rechte betreffen. Eine jede Klasse hat ihr bestimmtes Gepräge, weiß besser in ihren eigenen Verhältnissen Bescheid als diejenigen, welche diesen Verhältnissen nicht unterworfen sind.

Die Männer, sagt die Gesellschaft, repräsentieren die Frauen.

Wann übertrug die Frau dem Manne das Mandat?
Wann legte er ihr Rechenschaft von seinen Beschlüssen ab?
Weder das eine noch das andere ist jemals geschehen.
Wenn die Frauen nicht einverstanden sind mit dieser Vertretung, so ist eine Behauptung wie die angeführte eine beleidigende soziale Improvisation der Männer, ein Hohn ins Antlitz der realen Verhältnisse. Genau mit demselben Recht kann der absolute König sagen, er repräsentiere sein Volk, oder der Sklavenhalter, er repräsentiere seine Sklaven. Es ist ein altes Argument, daß die Arbeiter durch ihre Arbeitgeber zu repräsentieren seien, das Argument hat aber die Arbeiter nicht überzeugt, und mit Energie haben sie diese Vertretung zurückgewiesen. Und die Frauen sollten sie akzeptieren? Nimmermehr!

Die Frauen verlangen das Stimmrecht, weil jede Klasse, die am politischen Leben unbeteiligt ist, unterdrückt wird; die Beteiligung am politischen Leben dagegen notwendig im Laufe der Zeit die Gleichheit vor dem Gesetze zur Folge haben muß. Die Klassen, die das Stimmrecht nicht üben dürfen, sind in der Gewalt der anderen Klassen, die es üben. Dieses Prinzip ist stets so einstimmig von allen liberalen Parteien anerkannt worden, daß die Verleugnung desselben den Frauen gegenüber schier unbegreiflich ist. [ . . . ]

Die Logik der Politik ist absolut.

Entweder ist ein Volk souverän und mithin auch die Frauen,
oder Untertanen eines Herrn und Königs sind wir alle.

Wir können nur zurück zur Despotie oder vorwärts zum rein demokratischen Staat, wo der Grundsatz zur Geltung kommen muß, daß die Frauen als Bestandteile des souveränen Volks unantastbaren Anspruch haben auf völlige Gleichheit der bürgerlichen und sozialen Rechte.

Ich erkenne nichts an, was nicht andere auch in mir anerkennen.
Es gibt keine Freiheit der Männer, wenn es nicht eine Freiheit der Frauen gibt.

Wenn eine Frau ihren Willen nicht zur Geltung bringen darf, warum soll es der Mann dürfen?

Hat jede Frau gesetzmäßig einen Tyrannen, so läßt mich die Tyrannei kalt, die Männer von ihresgleichen erfahren. Einen Tyrannen für den anderen.

Und warum ertragen die Frauen so geduldig den Mangel des natürlichsten aller Rechte?

Sehr einfach: Sie müssen; denn ihnen fehlt die Macht, sich diese Rechte zu erzwingen. [ . . . ]

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