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Hedwig Dohm, „Das Stimmrecht der Frauen” (1876)

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[1.] Die Frauen fordern das Stimmrecht als Recht.

Warum soll ich erst beweisen, daß ich ein Recht dazu habe?

Ich bin ein Mensch, ich denke, ich fühle, ich bin Bürgerin des Staats, ich gehöre nicht zur Kaste der Verbrecher, ich lebe nicht von Almosen, das sind die Beweise, die ich für meinen Anspruch beizubringen habe.

Der Mann bedarf, um das Stimmrecht zu üben, eines bestimmten Wohnsitzes, eines bestimmtes Alters, eines Besitzes, warum braucht die Frau noch mehr?

Warum ist die Frau gleichgestellt den Idioten und Verbrechern?
nein, nicht den Verbrechern. Der Verbrecher wird nur zeitweise seiner politischen Rechte beraubt, nur die Frau und der Idiot gehören in dieselbe politische Kategorie.

Die Gesellschaft hat keine Befugnis, mich meines natürlichen politischen Rechtes zu berauben, es sei denn, daß dieses Recht sich als unvereinbar erwiese mit der Wohlfahrt des Staatslebens. Den Beweis dieses Antagonismus zwischen Staatsleben und Frauenrechten haben wir zu fordern. Man wird uns darauf warten lassen bis zum jüngsten Tag und sich inzwischen auf das Gottesgericht berufen, welches die Frau durch den Mangel eines Bartes als unpolitisches Wesen gekennzeichnet hat.

Die Voraussetzung, daß eine Menschenklasse, welche die Lasten der Bürgerschaft trägt, kein Recht habe, bestimmend auf diese Lasten einzuwirken, die Voraussetzung, daß eine Menschenklasse Gesetzen unterworfen sein soll, an deren Abfassung sie keinen Anteil gehabt, hat auf die Dauer nur für einen despotischen Staat Sinn und Möglichkeit. Die Zulassung eines solchen Prinzips ist Tyrannei in allen Sprachen der Welt und für jedes Geschlecht, für jeden Mann sowohl wie für die Frau.

Der Anspruch politischer Gleichheit der Geschlechter in der Kammer und auf der Tribüne erscheint den Männern als ein sittlicher Frevel und setzt sie der Gefahr eines Lachkrampfes aus. Eine politische Gleichheit aber erkennen sie bereitwillig an: die Gleichheit vor dem Schaffot.

Warum lachten Sie nicht, meine Herren, als Marie Antoinettes und Madame Rolands Haupt unter der Guillotine fiel?

„In einem Staate“, sagt Frau v. Stael, „Wo man einer Frau im Interesse des Staates den
Hals abschneidet, müßte sie doch wenigstens wissen warum?“

Die Männer antworten auf dergleichen naseweise Fragen niemals.

Warum sollten sie auch?

Die Stimmen der Besitzlosen und Machtlosen verschlingt die Welle des großen Lebensstromes – echolos. Erst wenn die Frauen das Stimmrecht erlangt haben, wird ihr Wille, ihr Glück und ihre Meinung in die Waagschale fallen an den Stätten, wo man die Geschicke der Klassen und Nationen abwägt.

Aus ihrer Macht über die Frauen leiten die Männer ihre Rechte den Frauen gegenüber her. Die Tatsache der Herrschaft ist aber kein Recht. Gesetzlich bestimmen sie alle die Maßregeln, Gebräuche und Ordnungen, die zur Unterdrückung des weiblichen Geschlechts dienen, und nennen diese Arrangements dann einen Rechtszustand. Das Unrecht wird aber nicht geringer, wenn ein Gesetz es sanktioniert hat, die Unterdrückung nicht weniger nichtswürdig, sondern nur um so furchtbarer, wenn sie einen universellen, einen weltgeschichtlichen Charakter trägt. [ . . . ]

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