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Hedwig Dohm, „Das Stimmrecht der Frauen” (1876)

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Die naiven Männer meinen nämlich, daß die Frauen deshalb so gut kochen und nähen, weil sie das Stimmrecht nicht haben, und in einem jeden mit dem Stimmrecht behafteten Weibe sehen sie im Geist das Urbild einer Konfusionsrätin, der sie zutrauen, daß sie Zeitungsblätter anstatt Petersilie an die Suppe tut und daß sie die Fische, anstatt sie zu braten, politisch haranguiert. Zweifellos aber ist ihnen der Zusammenhang zwischen einem Defizit im Wirtschaftsgelde und der Beschäftigung der Frau mit Steuer- und Budgetfragen.

Wie aber kommt es, daß der wissenschaftliche, industrielle oder künstlerische Beruf eines Mannes sich so wohl verträgt mit seiner politischen Tätigkeit. Hält man das Komponieren unsterblicher Wagner‘scher Opern, das Malen Kaulbach‘scher oder Richter‘scher Bilder, hält man das Verfassen umfangreicher gelehrter Bände und das aufregende Spiel an der Börse für weniger zeitraubende und unwesentlichere Beschäftigungen als das Kochen, Nähen, Klimpern, Zanken und Kinderwaschen der Frauen? Und sind nicht diese Herren von der Feder, vom Pinsel und von der Börse stets bereit, ihren politischen Pflichten Rechnung zu tragen, ohne um dessentwillen weniger und schlechter zu dichten und zu malen, zu spekulieren und zu meditieren? [ . . . ]

Wenn es unweiblich ist zu stimmen, so ist es auch unweiblich, Steuern zu zahlen, so ist es unweiblich für eine Witwe, ihre Kinder durch ihrer Hände Arbeit zu ernähren, so ist es unweiblich zu betteln usw. Gewohnheit macht Dinge so zur zweiten Natur, daß selbst das wärmste Herz und der weiseste Sinn ihre Sinnlosigkeit, ihre Härte und Ungerechtigkeit übersieht. [ . . . ]

Weil sie ein Weib ist. Das heißt, weil politische und wissenschaftliche Tätigkeit, weil die Entwicklung der Intelligenz die Frau derjenigen weiblichen Reize berauben dürfte, die in das Budget ihrer Lebensfreuden zu verrechnen die Männer ein Recht zu haben glauben.

Diese Auffassung, konsequent durchgeführt, endigt im Harem. [ . . . ]


(S. 159ff)

Wir haben einige Hauptgründe der Männer gegen das Stimmrecht der Frauen erörtert, wenden wir uns jetzt einigen Argumenten zu, auf welche die Frauen ihre politischen Ansprüche stützen.

1. Die Frauen fordern das Stimmrecht als ein ihnen natürlich zukommendes Recht.

2. Sie fordern es als eine sittliche Notwendigkeit, als ein Mittel zur Veredelung ihrer selbst und des Menschengeschlechts.

[ . . . ] Die Hauptsache aber ist dies:

die Gewährung des Stimmrechts ist der Schritt über den Rubikon.

Erst mit dem Stimmrecht der Frauen beginnt die Agitation für jene großartigen
Reformen, die das Ziel unserer Bestrebungen sind.

Die Teilnahme am politischen Leben macht alle anderen Fragen zu offenen.

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