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Hedwig Dohm, „Das Stimmrecht der Frauen” (1876)

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Gewiß, meine Gnädigste, aber darum handelt es sich ja gar nicht, es handelt sich um die Gattin jenes Trunkenbolds, der in bestialischer Rohheit das zitternde Weib zu Boden schlägt und sie und das Kind, um seinem Laster zu frönen, dem Hungertode preisgibt. Es handelt sich um jenes junge Mädchen, das seiner Natur Gewalt antut und zur Ehe schreitet mit dem ungeliebten Mann um der Versorgung willen, um dem Elend eines leeren und einsamen Daseins zu entgehen. Es handelt sich um jene alte Jungfer, die Tag für Tag über ihre Nadel gebeugt freund- und freudlos durch das Jammertal der Erde schleicht. Ach, es handelt sich um noch viele andere, gnädige Frau, von denen Sie nie etwas wußten und nie etwas wissen wollen.

Auf das höchste und schönste aller Gebote: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst, hat der Egoismus des Menschen noch immer die Antwort der Indifferenz in Bereitschaft gehalten: „Herr, soll ich meines Bruders Hüter sein!“ [ . . . ]

Drittens: Dem zu widerstreben, von dem man abhängt, erfordert ein mutiges Herz, eine freudige Überzeugung. Frauen aber hängen von ihren Männern ab. Wieviel Frauen in Deutschland mögen im Besitz von Gatten sein, die das Stimmrecht der Frauen begünstigen?

Wenn wir heute eine Versammlung zur Förderung politischer Frauenrechte ausschrieben, so würden Hunderte von Frauen, die mit uns einverstanden sind, daheim bleiben, weil ihre Männer nicht wünschen, daß sie einer solchen Versammlung beiwohnen. Sie würden daheim bleiben aus Furcht vor ihren Herren oder um des lieben Friedens willen, oder um durch ihren Gehorsam dies oder jenes abzuschmeicheln.

Das Stimmrecht werden viertens nicht begehren im großen und ganzen die Frauen des Volkes, weil es ihnen an Einsicht und Bildung fehlt und weil im allgemeinen bei den Unwissenden die Vorurteile noch stärker wirken als bei den Gebildeten. Die Frauen aus dem Volke vermögen nicht zu erkennen, warum sie für sich den Tisch des Lebens nicht gedeckt finden. Wenn die Proletarierfrau unter den wuchtigen Schlägen des betrunkenen Gatten sich krümmt, so weiß sie nicht, daß das Gesetz die Mißhandlungen dieses Kerls legitimiert. Wenn die Frau, die in wilder Ehe mit dem Manne lebt (nicht nach ihrem, sondern nach seinem Willen, wie gern wäre sie sein rechtmäßiges Weib), von diesem Manne hilflos auf die Straße geworfen wird mit ihren Kindern, so ist sie sich nicht bewußt, daß die Gesetze auf seiner Seite stehen. [ . . . ] Der Mann ist stets im Recht, wenn er seine natürlichen Kinder verleugnet und so vieler Maitressen sich bedient, unbekümmert um ihr späteres Schicksal, als seine Sinnlichkeit begehrt. Die halbwahnsinnige Kindesmörderin ahnt nicht, daß die Gesetze sie bewahren könnten vor der entsetzlichen Tat, an der ihre Seele oft genug keinen Anteil hat.

Wir haben zugegeben, daß ein großer Teil der Frauenwelt vorläufig das Stimmrecht nicht begehrt. Folgt aber daraus, daß die Frauen, die das Stimmrecht nicht wollen, denen überlegen sind, die es wollen? Gewiß nicht. Ebensowenig wie die Männer, die von ihren politischen Rechten keinen Gebrauch machen, denen überlegen sind, die am Staatsleben teilnehmen.

Haben aber unsere Gegner recht und die Frauen im großen und ganzen wollen wirklich das Stimmrecht nicht, so bedarf es keiner Maßregel, sie auszuschließen. – Wer brauchte je Gesetzesbestimmungen, um jemand zu zwingen, seiner Neigung zu folgen!

Die Frauen wollen das Stimmrecht nicht. Ich begreife, daß es erfreulich sein mag, sehr erfreulich für den, der herrscht, anzunehmen, daß der Beherrschte glücklich ist zu gehorchen.

Den guten Damen aber, die das Stimmrecht nicht wollen, bieten die Männer als Äquivalent ihre ritterliche Huldigung an, mit deren Entziehung sie den politischen Weibern drohen. [ . . . ]

Übrigens scheint mir die Wirkung dieses Schreckmittels einigermaßen problematisch in Anbetracht der Erfahrung, daß angebotene Stühle und Arme, Regenschirme und Eckplätze in Eisenbahncoupés doch nur hübschen jungen Damen zuteil werden, während die Unbequemlichkeiten, die alte Jungfern und Frauen, die nicht mehr jung und hübsch sind, zu leiden haben, das starke Geschlecht zu Ritterdiensten anzuspornen nicht geeignet sind. – Diese Frauen also – und sie sind in der Majorität – werden von der Frage gar nicht tangiert und können der Drohung spotten.

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