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Hedwig Dohm, „Das Stimmrecht der Frauen” (1876)

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(S. 107ff)

Zweiter Grund: Die Frauen wollen das Stimmrecht nicht.

[ . . . ] Indessen läßt sich nicht leugnen, daß ein großer Teil der Frauenwelt, in Deutschland sicher die Majorität, keinen Wert auf die Erlangung politischen Einflusses legt. Daraus folgt aber durchaus nicht, daß die Teilnahme an der Abfassung der Gesetze für die Frauen entbehrlich ist. Sicherlich haben die Neger niemals die Zivilisation gefordert und die Orientalinnen haben bis jetzt noch keine Sehnsucht nach der monogamischen Ehe an den Tag gelegt.
Nichtsdestoweniger wird niemand Sklaverei und Polygamie für verehrungswürdige Institutionen erklären, und jedermann wird zugeben, daß die Zivilisation der Barbarei und die Monogamie der Polygamie vorzuziehen sei. Der Wert der Güter würde den Betreffenden sofort einleuchten, wenn man sie in den Genuß derselben setzte. Wer zur Knechtschaft erzogen ward wie Sklaven und Frauen, wird nur langsam den unermeßlichen Wert der Freiheit erkennen lernen. Und wenn man die große Abhängigkeit der Frauen erwägt, so ist die stattliche Zahl der Anhängerinnen des Stimmrechts immerhin sehr beachtenswert.

Es mag Kreise und Gemeinden von Männern gehen, wo durchschnittlich weniger als die Hälfte derselben zum Wahltische gehen. Hier hätte sich also die Majorität gegen das Wahlrecht ausgesprochen und es müßte diesen Kreisen und Gemeinden das Stimmrecht entzogen werden. Wer denkt – daran!

Wenn nur eine einzige Frau das Stimmrecht fordert, so ist es Gewalttat, sie an der
Ausübung ihrer bürgerlichen Pflicht zu hindern.

Die Motive, welche die Frauen bewegen, sich entweder direkt gegen das Stimmrecht ihres Geschlechts aufzulehnen oder sich wenigstens der Frage gegenüber indifferent zu verhalten, sind sehr einfache und sehr klare.

Erstens: Die große Menge der Menschen, alle beschränkten und mittelmäßigen Köpfe huldigen niemals einer Idee oder einer Vorstellung, die noch keinen Kurs in der öffentlichen Meinung, die ihren tour du monde noch nicht gemacht hat. Die Mehrzahl der Menschen weicht keinen Fingerbreit ab von der Meinung, die in ihrem Lande, in ihrer Generation oder in ihrem Städtchen üblich ist. Sie ist zufrieden in ihrer honorablen Mittelmäßigkeit, und bei dem schläfrigen Trab auf der ausgefahrenen Chaussee herkömmlicher Sitten dusselt sie gemächlich aus dem Diesseits ins Jenseits hinüber. An der Autorität zu kleben, ist und wird immer sein die Religion aller Schwachköpfe, aller Denkfaulen und aller glaubensstarken Gemüter. Die Vorstellung einer selbständigen Frau ist zu neu, die Tragweite dieser Idee ist zu unermeßlich, als daß die Majorität sie begreifen, geschweige denn ihr zustimmen sollte.

Aber sind alle Sitten deshalb, weil man sie allgemein akzeptiert hat, über jede Anklage erhaben?
Soll die Gegenwart immer in die Fußtapfen der Vergangenheit treten?

Sind wir Automaten, die nur äußerlich durch eine Maschinerie angelernter sozialer Glaubenssätze, die frühere Jahrhunderte für uns konstruiert haben, fortbewegt werden?

Nein, die Zeit heiligt nichts, und jeder Glaube hat nur eine individuelle, eine an Zeit und Ort gebundene Heiligkeit.
[ . . . ]

Zweitens: Es werden nicht folgen der Fahne der Frauenfreiheit alle diejenigen Frauen, die, gleichviel ob dumm, klug oder geistreich, lieblosen Gemüts sind. Diejenigen, die sich in einer behaglichen äußeren Lage befinden und mit einer hinreichenden Quantität Egoismus ausgerüstet sind, werden sich hüten, für andere die Kastanien aus dem Feuer zu holen, denn sie wissen es wohl: Konflikte mit den Mitmenschen sind sehr unangenehme, und Gemütsruhe, gute Diners, Badereisen und Theaterlogen sehr angenehme Dinge.

„Ich habe alles, was ich brauche“, sagt die Frau an der Seite eines liebevollen Gatten, zu dessen hervorragenden Eigenschaften ein wohlgefülltes Portemonnaie gehört.

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