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Bismarcks Entlassungsgesuch (18. März 1890)

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Nach Mitteilungen, die mir der Generalleutnant von Hahnke und der Geheime Kabinettsrat von Lucanus gestern gemacht haben, kann ich nicht im Zweifel darüber sein, daß Eure Majestät wissen u. glauben, daß es für mich nicht möglich ist, die Ordre aufzuheben und dennoch Ministerpräsident zu bleiben. Dennoch haben Ew. M. den mir am 15. d. M. gegebenen Befehl aufrechterhalten u. in Aussicht gestellt, mein dadurch notwendig werdendes Entlassungsgesuch zu genehmigen.

Nach früheren Besprechungen, die ich mit Ew. M. über die Frage hatte, ob Allerhöchstdenselben mein Verbleiben im Dienste unerwünscht sein würde, durfte ich annehmen, daß es Allerhöchstdenselben genehm sein würde, wenn ich auf meine Stellungen in Allerhöchstdero Preußischen Diensten verzichtete, im Reichsdienst aber bliebe. Ich habe mir nach näherer Prüfung dieser Frage erlaubt, auf einige bedenkliche Konsequenzen dieser Teilung meiner Ämter namentlich bezüglich künftigen Auftretens des Kanzlers im Reichstage in Ehrfurcht aufmerksam zu machen, und enthalte mich, alle Folgen, welche eine solche Scheidung zwischen Preußen und dem Reichskanzler haben würde, hier zu wiederholen. Euere Majestät geruhten, darauf zu genehmigen, daß einstweilen „Alles beim Alten bleibe“. Wie ich aber die Ehre hatte, auseinanderzusetzen, ist es für mich nicht möglich, die Stellung eines Ministerpräsidenten beizubehalten, nachdem Ew. M. für dieselbe die capitis diminutio wiederholt befohlen haben, welche in der Aufhebung der grundlegenden Ordre von 1852 liegt.

Ew. M. geruhten außerdem bei meinem ehrfurchtsvollen Vortrage am 15. d. M. mir bezüglich der Ausdehnung meiner dienstlichen Berechtigungen Grenzen zu ziehen, welche mir nicht das Maß der Beteiligung an den Staatsgeschäften, der Übersicht über letztere und der freien Bewegung in meinen ministeriellen Entschließungen u. in meinem Verkehr mit dem Reichstage u. seinen Mitgliedern lassen, deren ich zur Übernahme der verfassungsmäßigen Verantwortlichkeit für meine amtliche Tätigkeit bedarf.

Aber auch wenn es tunlich wäre, unsere auswärtige Politik so unabhängig von unserer inneren und unsere Reichspolitik so unabhängig von der Preußischen zu betreiben, wie es der Fall sein würde, wenn der Reichskanzler der Preußischen Politik ebenso unbeteiligt gegenüberstände, wie der Bayrischen oder Sächsischen, und an der Herstellung des Preußischen Votums im Bundesrate u. dem Reichstage gegenüber keinen Anteil hätte, so würde ich doch, nach den jüngsten Entscheidungen Ew. M[ajestät] über die Richtung unsrer ausw[ärtigen] Politik, wie sie in dem Allerhöchsten Handbillet zusammengefaßt sind, mit dem Ew. M. die Rückgabe der Berichte des Konsuls in Kiew gestern begleiteten, in der Unmöglichkeit sein, die Ausführung der darin von Ew. M. vorgeschriebenen Anordnungen bezüglich der ausw[ärtigen] Politik zu übernehmen. Ich würde damit alle die für das Deutsche Reich wichtigen Erfolge in Frage stellen, welche unsre ausw[ärtige] Politik seit Jahrzehnten im Sinne der beiden Hochs[eligen] Vorgänger Ew. M[ajestät] in unsren Beziehungen zu Rußland unter ungünstigen Verhältnissen erlangt hat, u. deren über Erwarten große Bedeutung für die Gegenwart u. Zukunft Graf Schuwalow mir nach seiner Rückkehr von Petersb[urg] soeben bestätigt hat.

Es ist mir bei meiner Anhänglichkeit an den Dienst des Kgl. Hauses und an Ew. M. u. bei der langjährigen Einlebung in Verhältnisse, welche ich bisher für dauernd gehalten hatte, sehr schmerzlich, aus den gewohnten Beziehungen zu Allerhöchstdenselben und zu der Gesamtpolitik des Reiches und Preußens auszuscheiden; aber nach gewissenhafter Erwägung der Allerhöchsten Intentionen, zu deren Ausführung ich bereit sein müßte, wenn ich im Dienste bliebe, kann ich nicht anders, als Ew. M. alleruntertänigst bitten, mich aus dem Amt des Reichskanzlers, des Ministerpräsidenten und des Preußischen Ministers der auswärtigen Angelegenheiten in Gnaden und mit der gesetzlichen Pension entlassen zu wollen.

Nach meinen Eindrücken der letzten Wochen und nach den Eröffnungen, die ich gestern aus den Mitteilungen von Ew. M. Civil- und Militärkabinett entnommen habe, darf ich in Ehrfurcht annehmen, daß ich mit diesem meinem Entlassungsgesuch den Wünschen Ew. M. entgegenkomme und also auf eine huldreiche Bewilligung meines Gesuches mit Sicherheit rechnen darf. Ich würde die Bitte um Entlassung aus meinen Ämtern schon vor Jahr u. Tag Ew. M. unterbreitet haben, wenn ich nicht den Eindruck gehabt hätte, daß es Ew. M. erwünscht wäre, die Erfahrungen u. Fähigkeiten eines treuen Dieners Ihrer Vorfahren zu benutzen. Nachdem ich sicher bin, daß Ew. M. derselben nicht bedürfen, darf ich aus dem politischen Leben zurücktreten, ohne zu befürchten, daß mein Entschluß von der öffentl[ichen] Meinung als unzeitig verurtheilt werde.




Quelle: Otto von Bismarck, Die gesammelten Werke, Hg., Gerhard Ritter and Rudolf Stadelmann, Friedrichsruh Aufl., 15 Bde., 15 Bde., Bd. 6c, Nr. 440, Berlin, 1924-1935, S. 435ff.

Abgedruckt in Otto von Bismarck, Werke in Auswahl. Jahrhundertausgabe zum 23. September 1862, Hg. Gustav Adolf Rein et al., 8 Bde., Bd. 7, Reichsgestaltung und Europäische Friedenswahrung, Teil 3, 1883-1890, Hg. Alfred Milatz. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2001, S. 758-61.

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