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Bismarcks Rede zur „Polenfrage” vor dem preußischen Abgeordnetenhaus (28. Januar 1886)

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das war aber nicht etwa das deutsche Vaterland, sondern das polnische, was der Berliner Leierkastenmann damit beklagte. Es hatte das seinen entsprechenden Zwilling in dem Interesse für alles Französische. Wer hat, der mit mir gleichalterig ist, nicht „Bertrands Abschied“ zum Beispiel mit Begeisterung vortragen hören, oder die Poesien des Freiherrn v. Gaudy oder anderer zur Verherrlichung Napoleons I., der die Deutschen recht gründlich gehauen hatte, wofür sie ihm eine Dankbarkeit bewiesen, die ich durch kein zoologisches Beiwort charakterisieren mag. (Große Heiterkeit.) [ . . . ] — Ich entsinne mich meiner Universitätszeit in Göttingen im Jahre 1832, wo eine Art Depot für polnische Flüchtlinge aus dem Aufstande vom Jahre 1831 sich damals befand. Ich lernte damals als junger Mensch einige der hervorragenden Leute des damaligen polnischen Reichstages kennen. Es waren interessante, liebenswürdige Leute, aber das, was mich im Augenblick daran interessiert, ist die Erinnerung an die Begeisterung, mit der diese Polen in allen Städten Mitteldeutschlands empfangen wurden. Ich habe nachher den Empfang unserer aus siegreichen und gerechten Kriegen zurückkehrenden Armee erlebt; aber so warm war er kaum, wie der Empfang dieser polnischen Flüchtlinge in jeder deutschen Stadt (Oho!), die dadurch — ich habe sie selbst gesprochen — keineswegs in ihren Bestrebungen entwaffnet, gegen Deutschland und Deutsche umgestimmt wurden. Ich entsinne mich, daß ich mit einem der Herren zufällig über die slawischen Reminiszenzen sprach, die in den Namen vieler Ortschaften meiner Heimat sich zeigten aus den früheren wendischen Zeiten her, und daß mir der sagte — die Unterredung wurde französisch geführt —: Attendez, nous leur rendrons bientôt leurs noms primitifs.

Sie finden es ja auch in den Aufrufen aus den Revolutionen von 1846 und 1863 bestätigt, daß die Hersteller Polens auch nicht auf eine einzige Dependenz verzichten — die Woiwodschaft Pommern gehört gerade so gut dazu wie Pommerellen, und Pommerellen gerade so gut wie Warschau selbst. Ich habe schon erwähnt, wie groß das Entgegenkommen der Bewohner der heutigen deutschen Residenz damals im Jahre 1848 gegen die Polen war. Ich erinnere mich, daß ich an der Ecke der Charlottenstraße und Linden im Publikum den Zug der Beerdigung der gefallenen Märzkämpfer angesehen habe, und daß dabei in einigem Widerspruch zu einer Trauerfeierlichkeit auf einem reich geschmückten Wagen in einem malerischen polnischen Kostüm Mieroslawski stand, der der eigentliche Held des Tages war. Sein Aufzug — und er sah sehr gut aus, kann ich Ihnen versichern (Heiterkeit) — machte auf die Berliner fast mehr Eindruck, beschäftigte die Gemüter fast mehr als der des Königs, durch den die Absicht kundgegeben wurde, daß Preußen in Deutschland aufgehen sollte. Also die deutsche Nationalität ging damals spurlos vorüber, obschon sie durch den höchsten Träger der preußischen Nationalität repräsentiert war.

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Ich kann nicht dafür, daß ich damals nicht verstanden worden bin; ich habe mich namentlich in den bekannt gewordenen, und zwar nicht ganz richtig bekannt gewordenen Äußerungen, die durch die Worte „Blut und Eisen“ gekennzeichnet waren, recht deutlich darüber ausgesprochen, deutlicher fast vielleicht, als es gut war damals. Es handelte sich um militärische Fragen, und ich hatte gesagt: Legt eine möglichst starke militärische Kraft, mit anderen Worten möglichst viel Blut und Eisen in die Hand des Königs von Preußen, dann wird er die Politik machen können, die Ihr wünscht; mit Reden und Schützenfesten und Liedern macht sie sich nicht, sie macht sich nur durch „Blut und Eisen“. (Bravo! rechts.) Das ist die Sache. Ich wäre vielleicht verstanden worden, wenn ich nicht zuviel Rivalen auf diesem Gebiete, Deutschland herzustellen, damals gehabt hätte. (Heiterkeit.)

In dieser Lage also befand ich mich mit einer bewußten Absicht, die ich noch nicht aussprechen durfte, weil, wenn ich es getan hätte, mir eine Unterstützung weder bei Rußland noch Frankreich, weder bei Österreich noch auch bei England anders als bei dem letzten mit Worten und bei den anderen auch nicht einmal mit Worten zuteil geworden wäre. — Die Saat, die ich sorgfältig kultivierte, wäre im Keim erstickt worden durch einen kombinierten Druck des gesamten Europas, das unseren Ehrgeiz zur Ruhe verwiesen hätte, denn aus Liebe für uns hätte keiner etwas für die deutsche Sache getan, auch nicht einmal aus Interesse.

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