Er hätte genug Probleme und Ärger gehabt, das Begehren des Kaisers abzuwehren, die deutschen Provinzen Österreichs zu annektieren, deren Bevölkerung gewiss den Wunsch hegte, einen Teil der großen deutschen Familie zu bilden. Doch dieses Ansinnen würde er ablehnen, so lange er an der Macht sei, weil er das Bündnis und die Freundschaft mit Österreich gegenüber der Annexion von Provinzen bevorzuge, die nichts zur Stärke und Sicherheit Deutschland beitrügen und deren Verlust den Wert Österreichs als Bündnispartner mindern würde. –
Die Schweiz beispielsweise sei eine deutschsprachige Nation, aber die Schweiz sei von größerem Wert als ein unabhängiger, befreundeter Nachbarstaat Deutschlands denn als Provinz des Deutschen Reiches. –
Nach dem Dänisch-Deutschen Krieg hätte der Kaiser wochenlang nicht mit ihm gesprochen, so ungehalten sei seine Majestät über ihn gewesen, weil er nicht ein größeres Stück von Dänemark annektiert hatte. – Seiner Meinung nach habe Deutschland ohnehin zu viele dänischsprachige Untertanen und er würde bereitwillig aus eigener Tasche dafür bezahlen, um Deutschland von ihnen zu befreien, doch die öffentliche Meinung würde es einem deutschen Minister noch nicht erlauben, auch nur einen Teil eines vor so kurzer Zeit erworbenen Territoriums aufzugeben. Gleicherweise meinte er, Deutschland hätte zu viele polnische Untertanen, doch wie man mit ihnen umginge, sei eine Frage, die vom Erfolg der Maßnahmen abhängen müsse, die jetzt im Gespräch seien zur Ausschaltung des antinationalen römisch-katholischen Elements im neuen Reich. Es sei jetzt offensichtlich, dass die Stärke Deutschlands im protestantischen Norden läge, – seine Schwäche im katholischen Süden.
Prinz Bismarck machte eine Pause und paffte einige Zeit schweigend den Rauch aus seiner langen Meerschaumpfeife, dann fügte er in wohl überlegten Worten hinzu: „Unsere Ehre könnte uns dazu zwingen, anders mit dem Süden Deutschlands zu verfahren, als wir es ursprünglich wünschten oder vorhatten.“ – Dann zog er an seiner Klingel, verlangte eine Flasche Bier und eine weitere Pfeife und fuhr fort [ . . . ], seine Klage gegen seinen kaiserlichen Herren darüber zu wiederholen, da dieser die Einführung eines Regierungssystems unter einem verantwortlichen Premier wie in England ablehnte, die er (Prinz Bismarck) als die beste Methode betrachtete, die politische Erziehung der Deutschen zu entwickeln und ihnen die Kunst der Selbstverwaltung beizubringen. – Falls er jedoch das Pech haben sollte, Kaiser Wilhelm zu überleben, sehe er keine Schwierigkeiten, den Kronprinzen zu überzeugen, dem guten Beispiel Englands zu folgen, das seine kaiserliche Hoheit als das Beste für Deutschland verstehe und schätze.
[ . . . ]
Ihr
Odo Russell
Quelle des englischen Originals: Britischer Botschafter zu Deutschland, Lord Odo Russell, Berlin, an den britischen Außenminister Lord Granville, London, 11. Februar 1873, in Paul Knaplund, Hg., Letters from the Berlin Embassy, 1871-1874, 1880-1885. Washington, D.C.: USGPO, 1944, S. 87-89.
Übersetzung aus dem Englischen ins Deutsche: Erwin Fink