GHDI logo

Der württembergische Demokrat Ludwig Pfau zum deutschen Föderalismus (1864/1895)

Seite 4 von 7    Druckfassung    zurück zur Liste vorheriges Dokument      nächstes Dokument


Also wohlgemerkt! Das Prinzip des Fortschritts und der Sittlichkeit liegt nicht im Herrscher und der von ihm erstrebten äußern Machtstellung, sondern im Bürger und der von ihm bewirkten innern Rechtsentfaltung; nicht die Einheit, deren Endziel Gewalt und Herrschaft sondern die Freiheit deren Endziel Recht und Tugend ist, ist die höhere, die maßgebende, die rettende Idee; und folgerichtig steht nicht der Einzelstaat an der Spitze der Nation, welcher die meisten Bayonette besitzt, sondern derjenige, welcher die höchste politische Entwicklung, d. h. das größte Maß innerer Freiheit verwirklicht hat. Auf die Qualität kommt es in sittlichen Dingen an, nicht auf die Quantität; und der Gedanke der preußischen Hegemonie ist die Umkehrung aller Logik und aller Geschichte. Nicht von Preußen ist die politische und intellektuelle Bildung Deutschlands ausgegangen, nicht von Preußen ist sie geschützt und gepflegt worden; die ganze preußische Hegemonie besteht vielmehr in Führung der Reaktion. Das zeigt uns die Geschichte, während uns die Logik sagt, daß dieser neue Großstaat, gerade weil er die äußere Mission militärischer Machtstellung zu seiner Hauptaufgabe machte, notwendig zur inneren Mission politischen Fortschritts und rechtlicher Staatsgestaltung unfähig werden mußte. Daß die Säbelherrschaft Parlamente und Verfassungen gesprengt und zerrissen hat, das hat man oft genug gesehen; wann aber hat man erlebt, daß sie solche Dinge in freiheitlichem Sinne geschaffen oder in redlicher Ausführung gehandhabt hätte? O sancta simplicitas! Die innere Freiheits- und Rechtswidrigkeit des preußischen Regiments ist nicht im Stande Deutschland seinem wahren nationalen Ziele entgegenzuführen.

[ . . . ]

Die Kleinstaaterei hat allerdings unsere nationale Geltung nach außen verkümmert; andererseits aber verdanken wir ihr allein das bescheidene Maß von Recht und Freiheit, das wir besitzen; ihr allein verdanken wir die Befreiung vom römischen Geistesjoch und die reiche Entfaltung unserer Literatur und Wissenschaft. Dieser geistige Besitz ist es, was uns zur Nation macht, und nicht das herrliche Kriegsheer des Preußenkönigs. Preußen, trotz aller Berliner Aufklärerei, hat nie die geistige Entwicklung wahrhaft gefördert, weil dies nur durch die Freiheit geschehen kann; es hat den Fortschritt der kleinen Staaten nach Möglichkeit gehemmt und deren Freiheitsforderungen unterdrückt, indem es, im Schlepptau Rußlands, das übrige Deutschland den Weg der Reaktion hinter sich herzerrte. Auf welcher Kulturstufe aber Preußen noch in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts steht, das hat es durch seine in Baden verübten Barbareien bewiesen, deren, Österreich ausgenommen, kein einziger deutscher Staat fähig wäre. Wenn die Gothaer mit der ihnen angeborenen Kriecherei den Prinzen von Preußen bei seiner Thronbesteigung bejubelten, so haben wir weder die Kartätschenschüsse von Berlin noch die Standrechtskugeln von Rastatt vergessen.

Die Mittel- und Kleinstaaten also sind die Ausgangs- und Stützpunkte der deutschen Kultur und nur mit ihrer Hilfe kann eine ersprießliche Neugestaltung Deutschlands errungen werden. Die erste Bedingung einer gesunden Volkspolitik ist daher das Aufgeben der preußischen Hegemonie, welche eine wahre Nationalkalamität, und von der Geschichte der Jahre 48 und 49 vollständig verdammt ist. Es ist unbegreiflich, wie es nach all' den gemachten Erfahrungen noch nichtpreußische Menschen gibt, welche eine solche Politik des Verderbens verteidigen können. Die Preußen selber müssen sie abschwören, sie selber müssen auf ihre Hegemonie verzichten, wenn sie je zur Freiheit gelangen wollen. Denn diese Hegemonie heißt Erschöpfung der Volkskraft zur Herstellung einer alles verschlingenden hinaufgeschraubten Militärmacht; sie heißt Säbelherrschaft, Polizeiwillkür und Rechtsbruch im Innern; sie heißt mit einem Wort Centralisation. So lang die Preußen ihr Preußenthum nicht abschwören und sich zur Föderation bekennen, sind sie zur Freiheit nicht reif.

[ . . . ]

erste Seite < vorherige Seite   |   nächste Seite > letzte Seite