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August Bebel, „Die Frau und der Sozialismus” (1879)

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»Wenn Sie (F[anny] L[ewald]) die Forderung aufstellen der vollständigen Gleichberechtigung der Frau mit dem Manne im sozialen und politischen Leben, so muß notwendig George Sand auch recht haben in ihren Emanzipationsbestrebungen, die auf nichts weiter hinausgehen als das, was der Mann seit längst unbestritten besaß. Denn es ist schlechterdings kein vernünftiger Grund aufzufinden, weshalb allein der Kopf und nicht auch das Herz der Frau an dieser Gleichberechtigung teilnehmen und frei sein soll, zu geben und zu nehmen wie der Mann. Im Gegenteil: Soll das Weib seiner Natur nach berechtigt und dann auch verpflichtet sein – denn wir sollen das uns gegebene Pfund nicht vergraben –, die Fasern des Hirns bis aufs äußerste anzuspannen zum Wettlauf mit den Geistestitanen des anderen Geschlechts, so muß es auch das Recht haben, ganz wie diese zur Erhaltung des Gleichgewichtes den Blutumlauf des Herzens zu beschleunigen, auf immer welche Weise es ihm angemessen scheint. Denn wir lesen alle doch ohne die geringste sittliche Entrüstung zum Beispiel von Goethe – um nur gleich den Größten als Beispiel zu wählen –, wie er oft und immer wieder seines Herzens Wärme und den Enthusiasmus seiner großen Seele an eine andere Frau verschwendete. Der Einsichtsvolle findet das nur natürlich, eben seiner großen, schwer zu befriedigenden Seele wegen, und nur der beschränkte Moralist hält sich tadelnd dabei auf. Warum also wollen Sie spotten über die ›großen Seelen‹ unter den Weibern! [ . . . ] Nehmen wir einmal an, das ganze weibliche Geschlecht bestände ohne Ausnahme aus George Sandschen großen Seelen; jede Frau sei eine Lukretia Floriani, deren Kinder alle Kinder der Liebe, die diese Kinder aber auch alle mit echt mütterlicher Liebe und Hingebung sowohl als mit Einsicht und Verstand erzöge. Was würde aus der Welt dabei werden? Es unterliegt keinem Zweifel, die Welt könnte dabei fortbestehen und Fortschritte machen wie heute und könnte sich vielleicht ausnehmend wohl dabei befinden.«

Aber warum sollen dieses nur die »großen Seelen« beanspruchen können und nicht auch die anderen, die keine »großen Seelen« sind? Konnten ein Goethe und eine George Sand, um die zwei unter den vielen, die gleich ihnen handelten und handeln, herauszunehmen, den Neigungen ihres Herzens leben, veröffentlicht man namentlich über Goethes Liebesaffären halbe Bibliotheken, die von seinen Verehrern und Verehrerinnen mit einer Art andächtiger Verzückung verschlungen werden, warum bei anderen mißbilligen, was, von einem Goethe oder einer George Sand getan, zum Gegenstand ekstasischer Bewunderung wird?

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