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Paul de Lagarde über Liberalismus, Bildung und die Juden: Deutsche Schriften (1886)

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Was ergibt endlich die liberale Wissenschaft als eben das, was man – das heißt, die unerzogene, ihren Leidenschaften hingegebene Masse – wünscht und weiß? Wer aber der Zeit nicht etwas bietet, was über die Zeit hinausreicht und hinausführt, was eben darum der Zeit unbequem ist, der hat seinen Lohn dahin.

Drei Dinge sind der Ertrag unsrer Bildung: schlechte Augen, gähnender Ekel vor allem was war, und die Unfähigkeit zur Zukunft.

Es wird erlaubt sein, am Schlusse dieser nur zur Erweckung des eigenen Nachdenkens meiner Leser geschriebenen Zeilen auf die jetzt brennend gewordene Judenfrage einzugehn, da diese Frage nur von denen richtig beantwortet werden kann, welche meine Grundanschauung über den Werth der Bildung theilen.

Die Aufregung ist unter der Jugend eine allgemeine: die älteren Generationen denken meistens wie der Nachwuchs, verhalten sich aber aus verschiedenen Ursachen still.

Einige siebenzig Berliner, darunter nicht ganz wenige Mitglieder der preußischen Akademie der Wissenschaften, haben jene Aufregung durch eine am 12 November 1880 abgegebene Erklärung zu beschwichtigen gesucht: es ist dringend zu wünschen, daß die wissenschaftlichen Leistungen dieser Männer mehr taugen als ihre politischen: zu schreiben haben sie nicht verstanden, und den Thatsachen thun sie – was selbst in der Erregung des Augenblicks Führern nicht erlaubt ist – auf das Aergste Gewalt an.

Es fällt Niemandem in Deutschland ein, wie jene Leute behaupten, sich in Betreff der Juden gegen die sogenannte Toleranz zu versündigen: die Fähigkeit der Deutschen intolerant zu sein scheint durch die Leistungen der Falkschen Epoche erschöpft: Niemand hat jemals die in Deutschland wohnhaften Juden gehindert, ihre Söhne zu beschneiden, koscher zu essen, den Schabbeß und alle jüdischen Feiertage zu halten.

Daß es, wie jene Notabeln versichern, Christen aller Parteien gibt, denen die Religion die frohe Botschaft vom Frieden ist, wird man nicht bestreiten mögen: wünschenswerth wäre eine nähere Erläuterung dieses Satzes, der so wie er da steht, das Wesen des christlichen Glaubens nicht ausdrückt.

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