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Bericht der Auschwitzflüchtlinge Alfred Wetzler und Rudolf Vrba (Ende April 1944)

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Anlässlich meiner ersten Nachtschicht hatte ich zum ersten Mal die Gelegenheit gehabt, zuzusehen, wie die nach Auschwitz angekommenen Transporte behandelt wurden. Es kam ein Transport mit polnischen Juden. Sie hatten in den Waggons kein Wasser und als sie ankamen, hatten sie etwa 100 Tote. Die Waggontüren wurden geöffnet und wir mussten die von der Reise und den Entbehrungen völlig erschöpften Juden mit einem großen Geschrei aus den Waggons treiben. Sie wurden auch durch häufige Stockhiebe der SS-Mannschaft zum raschen Aussteigen veranlasst. Sie wurden dann in Fünfer-Reihen gestellt. Die Waggons von den Toten, Halbtoten und Paketen zu räumen war unsere Aufgabe. Die Toten wurden auf einer Sammelstelle auf einen Haufen geworfen. Alles, was nicht auf eigenen Füßen gehen konnte, galt als tot. Die Pakete wurden auf einen Haufen gelegt und die Waggons mussten gründlich gereinigt werden. Es durfte vom Transport keine Spur zurückbleiben. Eine Kommission der politischen Abteilung hat dann ca. 10% Männer und 5% Frauen ausgewählt, die abgeführt und durch die bekannte Prozedur den Lagern zugeteilt wurden. Die Restlichen wurden auf Lastautos verladen und nach den Birkenwald geschickt, wo sie vergast wurden. Die Toten und die sich unter ihnen befindlichen Halbtoten wurden ebenfalls auf Autos verladen. Diese wurden in Birkenwald direkt verbrannt. Häufig wurden kleine Kinder auf die Autos der Toten geschleudert. Die Pakete wurden durch Lastautos in die Magazine gebracht und dann auf die bereits beschriebene Weise sortiert.

In der Zeit von Juli bis September 1942 hatte im Lager Auschwitz, besonders aber im Frauenlager Birkenau die Flecktyphusepidemie gewütet. Die Kranken wurden überhaupt nicht behandelt. Anfangs wurden alle Typhus-Verdächtigen durch Fenolinjektionen getötet, später massenweise vergast. In zwei Monaten starben 15-20.000 Häftlinge, meistens Juden. Insbesondere schwer litt das Mädchenlager. Es hatte gar keine sanitären Einrichtungen, die Mädchen waren total verlaust. Allwöchentlich fanden große Selektionen statt. Die Mädchen hatten sich hiezu, ohne Rücksicht auf die Witterung, nackt zu präsentieren und mussten jedes Mal mit Todesangst erwarten, ob sie selektiert werden oder ob ihnen noch eine Woche Aufschub gewährt werden wird.

Es gab sehr viele Selbstmorde, die einfach so begangen wurden, dass man sich abends zur kleinen Postenkette begab und sich an die Hochspannungsleitung lehnte. Dies ging so lange, bis ihre Zahl auf nur ca. 5% des ursprünglichen Standes sank. Heute leben noch in Auschwitz und Birkenau nur ca. 400 dieser Mädchen, der größte Teil von ihnen konnte sich später gute administrative Posten im Frauenlager sichern. Die Eine von ihnen, eine gewisse Katja (Familienname mir unbekannt) aus Povazska Bystrisa (wo sie Verwandte namens Langfelder hat) bekleidet den hohen Posten des Rapportschreibers. Etwa 100 jüdische Mädels aus der Slowakei fanden im Stabsgebäude in Auschwitz Beschäftigung. Sie verrichten da die gesamte schriftliche Arbeit, die mit der Verwaltung der Lager Auschwitz und Birkenau zusammenhängt. Dank ihrer Sprachkenntnis werden sie zu Dolmetscherdiensten bei Verhören von fremdsprachigen Häftlingen verwendet. Teilweise arbeiten sie auch in der Küche und in der Wäscherei des Stabsgebäudes. In der letzten Zeit sind diese Mädchen verhältnismäßig gut gekleidet, da sie die Möglichkeit hatten, ihre Garderobe aus dem Bestand des Arbeitskommandos entsprechend zu ergänzen. Häufig tragen sie sogar Seidenstrümpfe. Sie lassen ihre Haare wieder wachsen und es geht ihnen verhältnismäßig gut. Dies kann freilich keineswegs von den anderen, einige tausend Köpfe zählende Häftlinge des Frauenlagers behauptet werden. Die slowakischen Mädchen sind die ältesten Häftlinge im Frauenlager. Sie haben bis heute unsagbar viel gelitten und haben jetzt eine kleine Ausnahmeposition.

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