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Bericht der Auschwitzflüchtlinge Alfred Wetzler und Rudolf Vrba (Ende April 1944)

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Sie wurden lediglich durch ihren "Lagerältesten" einem reichsdeutschen Berufsverbrecher namens Arno Böhm, Häftlingsnummer 8 einem der größten Banditen im Lager, in unerhörter Weise schikaniert. Unsere Verwunderung ist noch gestiegen, als wir nach einiger Zeit das offizielle Verzeichnis dieses Transportes zu sehen bekamen, dessen Aufschrift lautete: "SB-Transport tschechischer Juden mit 6 monatl. Quarantäne" Wir wussten sehr gut, was "SB" („Sonderbehandlung") bedeutet, konnten uns aber die Behandlungsweise und die überaus lange Quarantänezeit von 6 Monaten nicht erklären, zumal die höchste Quarantäne-Frist 3 Wochen nie überschritten hat. Wir wurden stutzig. Je mehr sich aber die 6-monatliche Quarantäne-Frist ihrem Ende näherte, umso mehr gewannen wir die Überzeugung, dass auch das Los dieser Juden in der Gaskammer enden wird. Wir suchten Gelegenheit, mit den Leitern dieser Gruppe in Verbindung zu kommen. Wir haben es ihnen klargelegt, wie es um sie steht und was sie zu erwarten haben. Einige von ihnen, insbesondere Fredy Hirsch, der augenscheinlich das Vertrauen seiner Lagergenossen hatte, haben uns mitgeteilt, dass sie für den Fall, dass sich unsere Befürchtungen bewahrheiten sollte, einen Widerstand organisieren werden. Die Leute des "Sonderkommandos" sagten uns zu, dass im Falle sich die tschechischen Juden sich zur Wehr setzen werden, sie sich ihnen auch anschließen werden. Einige glaubten auf diese Art eine Generalrevolte im Lager inszenieren zu können.

Am 6. März erfuhren wir, dass die Krematorien zur Aufnahme der tschechischen Juden vorbereitet werden. Ich eilte zu Fredy Hirsch, um ihm dies mitzuteilen und bat ihn eindringlich zu handeln, da sie ja nichts mehr zu verlieren hätten. Er antwortete mir, er wisse, was seine Pflicht ist. Vor Abend schlich ich wieder zum tschechischen Lager, da erfuhr ich, dass Fredy Hirsch im Sterben liege. Er hat sich mit Luminal vergiftet. Am nächsten Tag, den 7. März 1944 wurde er im bewusstlosen Zustand mit seinen 3.791 Gefährten, die am 7.9.1943 nach Birkenau kamen, mit Lastautos zu den Krematorien gebracht und vergast. Die Jugend fuhr singend in den Tod. Es hat zu unserer größten Enttäuschung keinen Widerstand gegeben. Die Männer des Sonderkommandos, die entschlossen waren, mitzutun, haben vergeblich gewartet.

Etwa 500 ältere Personen starben noch während der Quarantänezeit. Nur 11 Zwillingspaare wurden von diesen Juden am Leben gelassen. An diesen Kindern werden in Auschwitz verschiedene medizinische Versuche durchgeführt. Als wir Birkenau verließen, waren diese noch am Leben. Unter den Vergasten befand sich u.a. aus der Slowakei stammend auch Rozsi Fürst aus Sored. Eine Woche vor der Vergasung, also am 1.3.1944 mussten alle Lagerinsassen an ihre Angehörigen im Ausland über ihr Wohlbefinden schreiben. Die Briefe mussten mit dem Datum 23. - 25. März 1944 versehen werden. Es wurde ihnen aufgetragen, Paketsendungen von den Angehörigen im Ausland zu verlangen.

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