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Bericht der Auschwitzflüchtlinge Alfred Wetzler und Rudolf Vrba (Ende April 1944)

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Die Bewachung der großen Postenkette bleibt in ihren Türmen, die Mannschaft der kleinen Postenkette bezieht ihre Stellungen bei den Postenketten und dann beginnt das Absuchen des Terrains zwischen den beiden Postenketten, welches von hunderten SS-Leuten und Spürhunden durchgeführt wird. Durch den Sirenenton wird auch die weitere Umgebung von Auschwitz in Alarmzustand versetzt, sodass, wenn es dem einen oder anderen Häftling auf ganz wunderbare Art irgendwie gelungen ist, die große Postenkette zu passieren, mit großer Wahrscheinlichkeit damit gerechnet werden muss, dass er durch die dichten Patrouillen der deutschen Polizei und SS erwischt wird. Ein großes Hindernis für den Flüchtling ist der kahl geschorene Kopf, die gekennzeichnete Kleidung (gestreifte Häftlingskleider oder andere mit roter Farbe bestrichene Fetzen) und das im besten Falle passive Verhalten der ungemein stark eingeschüchterten Bevölkerung. Nicht nur eine kleine Hilfeleistung, schon die Unterlassung einer sofortigen Anzeige über das Verweilen eines vermeintlichen Flüchtlings wird durch den Tod bestraft.

Wenn der Flüchtling nicht eher erwischt wird, bleibt die große Postenkette 3 Tage und 3 Nächte hindurch bewacht. Nach dieser Zeit wird angenommen, dass es dem Flüchtling gelungen ist, die Postenkette irgendwie zu passieren, weshalb am nächstfolgenden Abend die Bewachung eingezogen wird. Wenn der Flüchtling lebend erwischt wird, wird er in Anwesenheit des ganzen Lagers gehenkt. Wenn er tot aufgefunden wird, wird seine Leiche immer - mag sich der Auffindungsort wo immer befinden - in das Lager zurückgebracht (durch die eintätowierte Nummer kann die Identität und Lagerzugehörigkeit leicht festgestellt werden), sodann am Eingangstor bei der kleinen Postenkette mit einer Tafel in der Hand hingesetzt. Die Tafel trägt die Aufschrift: "Hier bin ich".

Es hat während unserer fast zweijährigen Haft sehr viele Fluchtversuche gegeben. Bis auf 2-3 Fälle wurden aber die Flüchtlinge immer lebend oder tot zurückgebracht. Ob es den ganz Wenigen, die nicht wieder in das Lager gebracht wurden, gelungen ist, tatsächlich zu entkommen, wissen wir nicht. Mit Sicherheit kann aber behauptet werden, dass von den Juden, die aus der Slowakei nach Auschwitz bezw. Birkenau eingeliefert wurden, bis heute wir die Einzigen sind, denen es geglückt ist, sich zu retten.

Wie bereits erwähnt, wurden wir am ersten Tage unserer Ankunft in Auschwitz nach Birkenau gebracht. Eine Gemeinde mit der Benennung "Birkenau" existiert eigentlich nicht. Auch der Name Birkenau ist neu geprägt und von dem in der Nähe liegenden Birkenwald (Brezinky) abgeleitet. Das Gebiet, das heute den Namen "Birkenau“ trägt, wurde und wird noch heute von der Bevölkerung "Rajska" genannt. Das heutige Lagerzentrum von Birkenau liegt vom Lager Auschwitz ca. 4 km entfernt. Die beiden großen Postenketten von Auschwitz und Birkenau berühren sich, sie werden voneinander lediglich durch ein Eisenbahngleis getrennt. Von Neu-Berun, das wir unbegreiflicherweise als Poststelle angeben mussten, haben wir nie etwas vernommen. Diese Stadt dürfte 30 - 40 km von Birkenau entfernt sein.

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